Herberge "Am Geisenstieg" (2)

  • "Dann sag nichts. Oder sag es ein andermal, wenn ich es dringend hören muss. Solche Tage werden unzweifelhaft kommen."


    Es ist keine Schwarzseherei, die ihre Worte treibt, es ist Erfahrung. Daher weicht auch die stille Heiterkeit und Zufriedenheit nicht aus ihrem Gesicht.


    "Was die Medizin angeht, nicht vergessen: ich bin die böse Tante der Garde. Wenn ich komme, tut es weh." Sie krabbelt über ihn hinweg aus dem Bett - nicht, ohne ihn noch einmal mit der Gier einer Ertrinkenden, die Wasser gefunden hat, zu küssen - und geht zum Tisch, um ihr medizinisches Werkzeug zu suchen. Als sie feststellt, dass es schon zu dunkel ist, um zu sehen, ob alles an seinem Platz und sauber ist, schließt sie erst einmal die Gardinen, bevor sie die Öllampe entzündet.

  • "Solange sie dich für die böse Tante halten, ist alles in Ordnung."


    Er musste kurz lachen, als er an die Worte Aaloks dachte. Langsam setzte er sich auf und nach vorne an die Bettkante. Es drehte sich alles ein wenig um ihn herum, scheinbar war er erschöpfter als er es sich eingestehen wollte.


    "Sie meinen ess ja nicht ernst, ich glaube sie sind dir sehr dankbar."

  • "Oh, das weiß ich doch. Ich nehme das als Ehrentitel." Als ihrem Korb fischt sie einen hübschen, dunklen Morgenmantel, in den sie hineinschlüpft, bevor sie beginnt, Schere und Pinzette mit scharfem Alkohol zu reinigen, dessen Geruch sich sofort im gesamten Raum ausbreitet. "Rippen, Oberschenkel innen und Oberschenkel außen - oder habe ich was vergessen?" Sie wirft ihm einen schnellen Blick über die Schulter hinweg zu.

  • Damorg räuspert sich und nickt.


    "Ja genau so ist es. Ich freu mich schon drauf."


    Antwortete er mit leichtem Biss in der Stimme und schaute sie dann gespielt freundlich an. Auch wenn er diese Prozedur hasste, konnte und wollte er der Priesterin keinen Strick daraus drehen.


    "Du aber bestimmt auch."

  • Alanis bringt die Öllampe zum Nachttisch und stellt sie dort ab, damit sie für das Kommende genug Licht hat. Das nötige Besteck trägt sie in einer Holzschale, zusammen mit ein paar kleinen, sauberen Tüchern und einem Becher starken Alkohols, ebenfalls zum Bett hinüber, neben dem sie sich auf den Knien niederlässt. Die Utensilien stellt sie neben sich auf dem ausgetretenen Holzboden ab. Mit geübtem Griff beginnt sie dann, Damorgs Haut und Muskeln um die Stelle, wo das Messer von zwei Wochen in den Bauch eingedrungen ist, zu betasten, um sich vom Zustand des Narbengewebes und der allgemeinen Heilung ein Bild machen zu können.


    "Natürlich, ich freue mich immer unheimlich, wenn Du mir Arbeit mit nach Hause bringst."


    Sie klingt konzentriert, aber vor allem Anderen resigniert.


    "Hm, ist an sich gut zusammengewachsen. Aber der Muskel hier war durch." Sie drückt auf die Stelle, die sie meint. "Die Wunde wird sich also immer mal wieder melden und ein wenig spannen, wenn Du Deinen Oberkörper drehst oder schwer hebst."

  • Damorg zuckt kurz, als sie die Naht betastet und brummt dann unzufrieden bei ihren Worten.


    "Das habe ich gerade noch gebraucht. Aber es ist ja nicht das einzige Wewechen, welches geblieben ist."


    Sein Blick wandert nach unten auf seinen Bauch um vielleicht selbst etwas von der Behandlung sehen zu können.

  • Alanis murmelt irgendetwas vor sich hin und greift dann nach der kleinen Schere, um die Fäden in der Wunde unterhalb der Rippen aufzutrennen.


    "Vorsicht - kalt. Und - ehm...für gleich würde ich vorschlagen, dass Du Dir zumindest das Kissen anziehst. Ich muss relativ weit oben an die Oberschenkelinnenseite."


    Sie blickt kurz auf und grinst ihn an.

  • "Wie du meinst."


    Damorg unterdrückt ein Zucken, als sie seine Haut mit dem kalten Metal berührt.


    "Aber ich verstehe schon, sicher ist sicher."


    Seine rechte Hand greift bereits nach dem Kissen auf dem Bett, dabei versucht er sich so wenig wie möglich zu bewegen.

  • Das Herausziehen der Fäden erfolgt im zügigen Tempo, auf unnötiges Herumgeziepe und so etwas wie sachte Behandlung von Patienten achtet Alanis in keinem Fall - nicht einmal in diesem. Mit einem schnapsgetränkten Tuch wischt sie über die Narbe und das bisschen Blut ab, das aus den Stichstellen quillt.


    "Prima", nickt sie zufrieden und blickt Damorg dann in's Gesicht, um zu sehen, wie es ihm geht. Nicht selten sind ihr schon Krieger bei so einer Kleinigkeit wie dem Fädenziehen weggesackt.

  • Damorgs Farbe im Gesicht ist etwas weniger geworden, die Zähne hat er zusammen gebissen, die Lippen sind aufeinander gepresst. Zwischen den Lippen bringt er dennoch ein "Prima" als Antwort hervor. Als sie mit dem Abwischen fertig ist, lässt er die Luft aus der Lunge entweichen und entspannt sich etwas.


    "Und auf zur nächsten Runde."


    Seine Hand führt das bereits gegriffene Kissen zur angebrachten stelle, um alles nötige zu verdecken.

  • Alanis schmunzelt vor sich hin und rückt sich selbst und ihre Materialien ein kleines Stückchen weiter - in diesem Fall zwischen seine Beine. Die Schnittwunde am inneren Oberschenkel, die Luicatus gesetzt hatte, um beim Brechen des Beines die Arterie abzuklemmen, erhält dieselbe Tastuntersuchung wie der Stich in den Bauch. Auch hier zeichnet sie sich nicht durch sonderliches Zartgefühl aus, wenngleich durch Kunstfertigkeit. Die Fäden sind schneller durchtrennt und gezogen als die in der Stichwunde und das deutlich weniger schmerzhaft. Als sie mit kaltem Alkohol nachwischt, stützt sie sich, noch immer kniend, mit dem Ellbogen auf seinem Oberschenkel ab und blickt Damorg an.


    "Alles in Ordnung? Bist ein bisschen blass um die Nase. Hast Du heute genug gegessen und getrunken?"

  • Er nickte. Diesmal empfand er die Prozedur als angenehmer und blieb daher etwas entspannter.


    "Natürlich, von nix, kommt nix."


    Er legte die rechte Hand auf seinen Bauch.


    "Aber da wäre noch eine Naht, wenn ich mich recht erinnere, oder?"

  • "Ja, die Letzte." Alanis betastet kritisch die Wunde, die an der Außenseite des Oberschenkels entlang läuft, über der Stelle, die Luicatus zweifach hatte brechen müssen. Sie selbst hatte sie genäht. "Ich schwör Dir, ich hab dabei mindestens so gelitten wie Du." Die kalte, nadelspitze Schere gleitet über seine Haut und beginnt, die Fäden zu durchtrennen. "Wann ist das eigentlich passiert? Bevor oder nachdem Du kurz bei uns im Heilerkreis warst?"

  • Der Priester presste wieder die Zähne zusammen.


    "Das war nachdem das blau und graue Lager das Feld verlassen haben. In dem Kampf zwischen Gold und Rot. Ich hatte mich dem roten Lager angeschlossen und da stand auf einemal dieser Priester aus dem Grauen vor mir, vielleicht erinnerst du dich an ihn, langes, blondes, gelocktes Haar. Hatte auch einen Zweihandhammer. Er stritt für Gold, den Rest kannst du dir denken."


    Die Worte klangen ebenso gepresst.

  • "Du hast weitergekämpft?" Erst jetzt scheint Alanis zu realisieren, was er gerade gesagt hat. Sie schüttelt daraufhin nur leicht den Kopf und beginnt, die Fäden zu ziehen. Diese Fäden gehen tief, reichen teilweise bis kurz vor den Knochen und Alanis legt eine weitere Hand auf Damorgs Bein. Leise beginnt sie Luft und Wasser um Hilfe zu rufen und aus ihren Fingern, so scheint es, tropft Kühle in die Muskeln, beruhigt sie, wandert hauchzart bis hinunter zum Knochen und nimmt das, was brennend und schmerzend sein müßte, fort.

  • Mit dem abnehmenden Schmerz lcokerte sich auch der Druck auf seine Zähne und der Priester atmente tief durch.


    "Ja habe ich. Die Goldenen sollten sehen, wie es ist gegen eine Übermacht zu kämpfen. Ausgerechnet die, die für den Ausgleich stehen, haben alle Banner bei sich versammelt. Vielleicht besinnen sie sich so für die Zukunft. Ihrer Aufgabe sind sie diese Jahr nicht nachgekommen."


    Frustration lag in seiner Stimme.

  • "Hu, Du hast das richtig ernst genommen, oder?" Als der leise Gebet gesprochen und die letzten Fäden gezogen sind, wischt Alanis das Blut ab - dieses Mal ist es ein wenig mehr - und lässt sich aus der knienden Haltung herabsinken, bis sie auf dem Boden sitzt und mit irritiertem Gesichtsausdruck zu Damorg aufblickt. Eine Hand mit einer Kompresse auf seinen Bein liegen lassend, um die Blutung zu stillen, schlägt sie die Beine unter und man kann sehen, dass ihre Knie grün und blau sind.

  • "Wir alle haben dort unter dem Einsatz unseres Lebens entweder für die Drachen, oder für das was sie symbolisieren gestritten. Wie sollte ich das nicht ernstnehmen. Blut, Schmerz un Sterben ist kein Spiel, auch wenn man sein Leben wieder geschenkt bekommt."


    Langsam breitet sich wieder die Ruhe in seinem Körper aus, die er vor der Behandlung bereits einmal gehabt hatte, seine Schultern sackten ein wenig nach unten.


    "Und was hast du mit deinen Beinen gemacht?"

  • "Aber unser Symbol ist vom Platz gegangen - und ich auch. Ebenso wie der Prokurator - gut, der wurde eher geschleift, aber trotzdem. - Wärst Du in ein anderes Lager gegangen, wenn Du die Wahl gehabt hättest?"


    Bei der Nachfrage mit ihren Beinen schaut sie irritiert an sich hinunter und macht eine wegwerfende Handbewegung.


    "Priesterknie. Das ist seit dem Fest der Drachen so."

  • Er seufzte.


    "Ich bin mir nicht sicher. Der Ruf des Silbernen ist genauso verlockend wie der des Roten, für "mich". Aber der des Grauen ist im Zusammenhang mit Magonien der einzige, der mir richtig erscheint."


    Der Priester lässt sich nach hinten auf das Bett fallen.


    "Warum ich weiter gekämpft habe, obwohl unser Banner nicht mehr auf dem Feld war? Weil mir keiner der Gegner bis zu dem Zeitpunkt einen guten Kampf liefern konnte. Keiner der kapalgefällig gewesen wäre. Und den habe ich mir gesucht."