Im Hafen von Rendor

  • "Ja, Du hast Recht... gleich aufbrechen ist vielleicht besser. Ich schlaf sowieso wieder in der Kutsche durch die Schaukelbewegungen ein," zwinkerte sie Dunja zu.


    "Ich muss nur noch drei Dinge einpacken - alles andere hat Fanny wieder erledigt. Flora wohnt gegenüber - das ist schnellstens erledigt, sie einzufangen. Ich würde nur gerne, bevor wir die Stadt verlassen, noch kurz in meinem neuen Heim vorbeisehen. Wäre Dir das Recht?"

  • "Ich denke, dass können wir auf dem Weg aus der Stadt machen - liegt ja in die Richtung zum großen Stadttor Richtung Handelsstraße nahe des Waldes."


    Und so erledigte jeder schnellstmöglich seine Angelegenheiten. Marie nahm das Gebackene von Fanny entgegen; Fanny bekam dafür den Auftrag, die erstandenen Sachen von Markt zum Schiff bringen zu lassen.


    Flora wurde abgeholt. Sie wohnte ja gleich gegenüber in der Straße. Freudig umarmten sich alle und stiegen in die zwei Kutschen, die Maries Vater und Floras Vater zur Verfügung gestellt hatten.


    Nachdem Marie Flora ihr neues Heim gezeigt hatte, fuhren sie aus der Stadt... auf zu einem neuen "Abenteuer", wie Marie hoffte. Sie freute sich. Eng kuschelte sie sich in die dicke Felldecke ein und war froh über die warmen Steine an den Füßen. Sie schaute aus dem Kutschenfenster und war in Gedanken. Es war wirklich kalt geworden. Dieses Jahr würde es zum ersten Mal seit langem ein richtiger Winter werden.


    Flora und Dunja schnatterten munter miteinander - aber Marie hörte kaum hin, auch wenn sie eigentlich Floras Erlebnisse immer gerne hörte, waren ihre Gedanken schon in weiter Ferne - bei einem paar Augen, die sie immer noch verfolgten und in Armen, die mit ihr durch die Lüfte zu tanzen schienen...

  • Marie schaute aus dem Kutschenfenster und sah die ersten Türme ihrer geliebten Stadt. Vor einigen Wochen waren sie von hier aufgebrochen, um einer Einladung zu folgen.


    Flora döste neben ihr, den Kopf auf ihrer Schulter ruhend. Marie seufzte.


    Sie dachte an die Feierlichkeiten zurück - an die schönen Momente, in denen sie sich wie eine Prinzessin gefühlt hatte... und ebenso dachte sie wehmütig daran, dass...


    Flora bewegte sich und Marie schaute auf sie. Floras Lider blinzelten.


    "Guten Morgen Flora," sagte Marie leise zu ihr und streichelte ihr die Wangen. Diese erhob und räkelte sich.


    "Wir sind gleich wieder zuhause - schau - das Stadttor ist nur wenige Meter entfernt - und Du wirst gleich Deinen heißgeliebten Kaffee daheim trinken können."


    Was sie wohl zuhause erwartete, gingen ihre Gedanken weiter. Würde ihr Vater noch da sein? Clarisse?


    Sie musste in wenigen Tagen viel erledigen, denn es ging dann schon wieder los zur Academia Valkenberg - in ihr neues Leben - als Hofdame am Hofe Kaotiens.


    Kleider mussten gepackt werden. Eventuell würde sie sich noch ein Neues nähen lassen, in den kaotischen Farben, um der Fürstin zu gefallen.


    Ihr Haus musste inspiziert werden, denn es müsste nunmehr fertig eingerichtet und renoviert sein. Fanny sollte dann dort einziehen und ihren Ruhestand endlich genießen können. Und auch Prya sollte mit, wenn es ihr Vater erlaubte. Sie hoffte, er würde noch da sein, dass sie es mit ihm klären konnte. Vor ihrer Abreise hatte sie es nicht mehr geschafft, diese Angelegenheit mit ihm zu klären.


    Und zum Waisenhaus wollte sie auch noch. Auch dort gab es noch eine Menge zu tun. Zudem wollte sie die Kinder wiedersehen, hatte sie es ihnen doch versprochen - und wer weiß, wann sie sie wiedersehen würde, wenn sie erstmal in Kaotien ihr neues Leben beginnen würde.


    Kaotien... sie hatte versucht, sich viel Wissen über dieses Land, ihre Menschen und Bräuche anzueignen. Aber würde sie sich dort je zuhause fühlen? Sie hoffte, dass es ihr nicht zu schwer fiel, ihre Heimat zu verlassen. Sie würde ihre Familie und Freunde zurücklassen, die sie tagtäglich sah, aber auch neue gewinnen - so hoffte sie zumindest. Sie wünschte, sie hätte nur etwas mehr von Floras Art, der es so leicht fiel, mit Menschen in Kontakt zu kommen.


    Sie schaute unwillkürlich zu ihrer Freundin herüber, die immer noch nicht munter aussah. Sie musste lächeln. Flora war ein richtiger kleiner Morgenmuffel - so ganz anders als sie selbst - und trotzdem waren sie beste Freundinnen geworden. Wie Gegensätze sich doch anziehen können. Maries Gedanken schweiften weit ab in die Ferne zu seinem Gesicht. Warum er? Er war so anders als sie - ganz anders - geheimnisvoll... war es das, was ihn so anziehend für sie machte? Sie schüttelte ihren Kopf, um das Bild wieder loszuwerden. Argghh... raus aus meinen Kopf, dachte sie nur.


    In dem Moment hielt die Kutsche vor dem Wachposten des Stadttores und der Kutscher rief den Wachleuten etwas zu. Marie beugte sich vor und schaute aus dem Kutschenfenster. Sie lächelte den älteren dickbäuchigen Wachposten an, den sie kannte. Der erkannte sie auch sofort und winkte die Kutsche durch.


    Sie waren daheim - in Rendor. Alles war noch immer in zartes Weiß gehüllt. Man roch die Meeresbrise in der Luft und der Stadtlärm wurde immer lauter. Sie mussten ganz nah am Markt sein. Zwei Straßen weiter und dann nach rechts abbiegen und sie sind da....

  • Michael de Moriba saß in seinem Arbeitszimmer und fluchte vor sich hin. Er hatte gerade erst vor einer Stunde eine Depesche erhalten. Eins seiner Handelsschiffe war von Piraten geplündert und unbrauchbar gemacht worden. Nun lag es beschäftigt im Hafen von Rendor - die meisten der Besatzung tot.


    Er ging auf und ab. Den Verlust der Ware würde er verkraften können, auch wenn wertvolle Gewürze und Harze wie die seltene Myrrhe transportiert wurden.


    Aber was sagte er bloß den armen Familien seiner Seeleute. Er beschäftigte viele auf seinen Schiffen - und trotzdem kannte er fast alle. Die meiste Zeit verbrachte er schließlich mit ihnen, wenn er unterwegs war in ferne Länder um seinen Geschäften nachzugehen.


    Er setzte sich an den Schreibtisch und schaute auf die Liste der aufgelisteten toten Besatzungsmitglieder. Er würde jeder Familie schreiben und eine Summe beitun, dass die Familien erstmal über die Runden kämen.


    Er verfluchte diese seelenlosen Räuber der Meere! Er hörte immer mehr von Überfällen in den Regionen um Rendor. Andere Händler beklagte hohe Verluste. Er musste was dagegen unternehmen. Mehr Kanonen an Bord. Vielleicht auch ein schwer bewaffnetes Begleitschiff. Vielleicht ein Bündnis mit anderen Händlern - ja!


    Wütend schlug er die Faust auf den Tisch. Das alles würde mehr kosten, was er auf die Waren aufschlagen müsste und das würde eventuell Kunden kosten. Verfluchtes Piratenpack!


    Michael de Moriba war so sehr mit sich und seinen Gedanken beschäftigt, dass er gar nicht merkte, dass im Hausflur Aufruhr war...

  • Die Kutsche hielt vor Maries Heim und Marie verabschiedete sich von Flora, die in ihr Haus gegenüber verschwand. Sie winkte Floras Mutter zu, die in der Tür stand und ihre Tochter in Empfang nahm. Floras Mutter war trotz ihres hohen Alters noch immer eine Schönheit. Wie sie Flora beneidete, eine Mutter zu haben. Neid war ein schlechter Feind, predigte früher immer ihre Mutter Oberin im Kloster, aber sie beneidete Flora nun einmal. Auch wenn Floras Mutter sie selbst immer wie eine zweite Tochter behandelte, sehnte sie sich ihre eigene herbei, die sie so früh verloren hatte.


    Gerade zu dieser Jahreszeit wurde sie oft an ihre Mutter erinnert, schließlich verlor sie sie in dieser. 'Es war meine Schuld', dachte Marie - 'wäre... hätte ich nicht draußen spielen wollen in der Kälte...'.


    Ihre Haustür wurde geöffnet und Marie verscheuchte schnell ihre Gedanken, die sie traurig machten. Fanny trat heraus. Fanny, ihre alte Kinderfrau, die seit jeher die Mutterrolle übernommen hatte. Nein, sie durfte sich nicht beklagen.


    "Marie, mein liebes Kind! Wie schön, dass Du wieder da bist!" sagte Fanny zu ihr und umarmte sie fest.


    "Liebe Fanny", erwiderte Marie.


    Fanny rief dem Personal zu, Maries Truhen von der Kutsche in die Gemächer zu bringen.


    Die Hausherrin kam gerade die Treppe herunter. Isabell de Moriba - so wenig Marie sie auch mochte - sah wieder unbestechlich schön aus. Hätte sie nur ihre Grazie. Neid - schon wieder! Marie schüttelte innerlich den Kopf. Was war denn mit ihr los? Sowas passte nicht zu ihr. Sie würde nachher deswegen beten und um Vergebung Abitte leisten müssen.


    Isabell: "Marie, wie schön, dass Du wieder daheim bist. Dein Vater wird sich freuen."


    Isabell blieb auf der Treppe stehen und sah kühl auf sie herab. Trotz ihrer Worte fühlte Marie, dass sie sie nicht Willkommen hieß. Marie knickste kurz vor ihrer Stiefmutter und erwiderte höflich: "Es freut mich ebenso, wieder hier zu sein und freue mich, dass Ihr bei bester Gesundheit seid."


    Unwillkürlich fragte Marie sich, ob ihre Stiefmutter ihrem Ziel schon näher war und schaute auf deren Bauch, auch wenn sie wusste, dass man noch nichts würde sehen können, wenn sie denn schwanger wäre.

  • Marie fragte ihre Stiefmutter sodann: "Wo ist Vater?"


    Ihre Stiefmutter kam die restlichen Treppen herunter und stand nunmehr direkt vor ihr: "Im Arbeitszimmer - wie immer."


    Marie nickte ihr freundlich zu und ging auf die Tür zum Arbeitszimmer. Sie war nicht verschlossen und so schob sie leise die Tür auf.


    Ihr Vater saß am Schreibtisch, die Faust auf dem Tisch und sah wütend und auch traurig aus. Sie überlegte, ob sie ihn stören sollte. Gerade wollte sie sich umdrehen, da sah er auf...

  • "Vater! Ich bin wieder zurück..."


    Marie ging ihrem Vater entgegen und sah ihn an... er hatte Sorgen. Das konnte sie sehen. Seine Stirn hatte tiefe Furchen - mehr als sonst. Sie fragte sich, was passiert sei.


    Eigentlich hatte sie vor, Einiges mit ihm zu besprechen, was ihr auf dem Herzen lag - doch nun traute sie sich nicht. Es würde warten müssen.


    "Vater - ist was passiert? Geht es Dir nicht gut?"


    Ihr Vater führte sie um den Tisch herum und setzte sich - deutete ihr ebenfalls, sich zu setzen.


    Er begann ihr von dem Überfall zu berichten und was er nun zu tun beabsichtige. Sie hörte ihm aufmerksam zu und genoss es - trotz der traurigen Ereignisse -, dass ihr Vater sie zum ersten Mal ins Vetrauen nahm und ihr Geschäftliches erzählte, ja sogar nach ihrer Meinung fragte. Sie nahm seine Hand in die ihre, streichelte zärtlich mit dem Daumen über seinen Handrücken und bemerkte zum ersten Mal, dass seine Hand ganz faltig und kalt war.


    Ihr Vater wurde alt... noch nie wurde ihr das bewusster, wie in diesem Augenblick. Genauer schaute sie in sein Gesicht. Die vielen Reisen und das mittlerweile fortgeschrittene Alter hatten ihn gekennzeichnet. Seine Haare waren silber durchwogen. Wieso hatte sie das früher nicht gesehen. Vielleicht, weil sie ihm nie so nahe war, wie jetzt gerade... War er doch sonst immer auf Reisen und sie sah in kaum denn wenige Male im Jahr. Diese Nähe hatte sie sich immer gewünscht - ein innigeres Vehältnis zu ihrem Vater.


    Und gerade jetzt, wo es schien, als würde ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen, würde sie fortgehen müssen... wie das Schicksal manchmal grausam sein konnte.

  • Als Clarisse hört, dass Marie von ihrer Reise zurückgekehrt ist, stellt sie fest, dass sie sich darauf freut endlich ihre Cousine etwas näher kennenzulernen. Auch wenn Fanny & die anderen sehr nett zu ihr sind und auch ihr Onkel sich bemüht ihr die Eingewöhnung in ihre neue 'Familie' so leicht wie möglich zu machen, ist doch alles fremd und ganz anders als daheim, so dass sie hofft, vielleicht in Marie nicht nur eine Verwandte, sondern möglicherweise auch eine Freundin zu gewinnen.

  • Nachdem Michael seiner Tochter alles erzählt hatte, fühlte er sich niedergeschlagen. Soviele Tote... Freunde, alte Reisegefährten... ihm ging das nahe.


    Er schaute auf die Hände seiner Tochter, die die seine in die ihre genommen hatte. Kleine Hände, junge Hände... er überlegte, ob er jemals ihre Hand zuvor gehalten hatte... Doch damals, als sie noch ganz klein war - damals als seine geliebte Frau, ihre Mutter noch lebte. Seit deren Tod konnte er nie Nähe zu Marie ertragen und nun hielt sie seine Hand und schaute ihn mitfühlend an. Er fühlte sich plötzlich alt - ein Gedanke, der ihm gar nicht behagte.



    An der Tür zum Arbeitszimmer stand Isabell de Moriba und beobachtete die beiden. Diese Szene gefiel ihr ganz und gar nicht. Ihre Augen blitzten vor Wut. Sie wollte nicht, dass die beiden sich näher kamen oder besser verstanden als sonst. Sie war froh, dass ihre Stieftochter in wenigen Tagen wieder aufbrach, in ihr neues Leben weit, weit weg. Dieser Gedanke erfreute sie so sehr, dass sie mit einem Lächeln sich umdrehte und die Treppe emporstieg.



    Michael stand auf: "Marie - es ist schön, dass Du wieder daheim bist. Gönn Dir ein heißes Bad und/oder ein Frühstück. Ich habe nun noch einiges zu erledigen. Wir sehen uns dann später." Und dann ging er hinaus.

  • Marie stand ebenfalls auf und folgte ihrem Vater aus dem Zimmer.


    Sie ging die Treppe hinaus in ihr Zimmer. Fanny war währenddessen dabei, ihre Sachen aus der Reisetruhe zu entnehmen.


    "Ach Fanny, das ist aber traurig."


    Fanny schaute auf und sah sie fragend an: "Wie meinst Du das Marie?"


    Marie erzählte ihr das, was ihr Vater ihr zuvor berichtet hatte. Fanny schüttelte den Kopf und ließ ein paar undamenhafte Bemerkungen los.


    Marie half Fanny, die Truhe zu leere. Gerade als Fanny ihre Schmuckschatulle herausnahm, öffnete sich der Verschluss und der ganze Schmuck fiel zu Boden.


    Beide knieten und hoben ihm auf. Marie hob eine Kette auf: "Oh nein! Meine Kette ist kaputt!" Der filigrane, feine Anhänger war gebrochen.


    Fanny starte das Schmuckstück an: "Die kenn ich noch gar nicht... woher hast Du sie?"


    Marie errötete: "Ich... ähm... also, ich habe sie geschenkt bekommen," beendete sie den Satz und hoffte, dass das Thema damit beendet war. Schnell steckte sie Kette und den kaputten Anhänger in ihre Rocktasche. Sie würde hoffen, dass ein Goldschmied sie wieder zusammenflicken könnte.


    Doch Fanny ließ keineswegs von diesem Thema ab, kannte sie "ihre" Marie schließlich und wusste, wenn sie ihr was verschwieg: "Von wem bekommst Du denn ein solches Schmuckstück geschenkt?"


    Marie sah Fanny nicht an und legte weitere Schmuckstücke vom Boden in die Schatulle zurück, erwähnte dabei nur kurz: "Von einem Herrn... meinem Tanzpartner..."


    Fanny sah sie entsetzt an: "Du hast ein Schmuckstück von einem Mann erhalten und es angenommen," sie schüttelte den Kopf. "Du weißt doch. was das bedeutet - oder?!"


    Marie sah sie nun an und rollte mit den Augen. "Keine Panik, Fanny. Ich denke nicht, dass er Absichten in diese Richtung hegt. Er wollte nur zum Ausdruck bringen, dass er mich freundlich findet - denke ich und ich habe es auch angenommen, weil ich diese Geste sehr nett fand, auch wenn man mir kein Unterpfand für gewährte Freundlichkeit entgegenbringen muss."


    Marie fühlte sich sehr geschmeichelt von diesem Geschenk. Er hatte es ihr beim Tanzen - einer Pavane d'Honeur - übergeben. Sie war sehr überrascht gewesen...


    Fanny: "War er denn von Adel?" Marie sah Fanny mit strengen Blick an: "Fanny, was ist denn das für eine Frage?! Ja, war er - aber das hätte keine Relevanz - zumindest nicht für mich. Es war eine nette Geste - mehr nicht. Ich habe schon auf anderen Veranstaltungen mit ihm getanzt..."


    Marie dachte mit einem Lächeln an diesen Abend zurück. Erst bekam sie die Kette geschenkt, dann von einem anderen Herrn bei einem Tanz eine Minne vorgetragen. Noch nie kam sie sich so "beachtet" vor, wie an diesem Abend, obwohl viele andere hübsche junge Damen anwesend waren. Eigentlich war es immer Flora, die soviel Aufmerksamkeit bekam - nicht sie. Und auch wenn es ihr geschmeichelte hatte, hätte sie sich gewünscht, ein ganz anderer Herr hätte mit ihr getanzt oder gar diese Aufmerksamkeiten geschenkt... und da war es wieder, das Gesicht, das sie doch eigentlich endlich vergessen wollte - welches ihr so oft schon den Schlaf geraubt hatte.


    Fanny holte Marie aus ihren Gedanken und plauderte dann, das Thema wechselnd drauf los. Sie erzählte, wie sie mit Clarisse einkaufen war und dass sie das junge Mädchen mochte, und dass sie so unkompliziert war. Ebenso berichtete sie davon, wie ihre Stiefmutter sich wie ein Drache aufführte und wenn ihr Vater anwesend war, wieder wie ein Unschuldslamm. Sie schnaubte und ließ einige Schimpfwörter auf sie los.


    Marie fragte, wo Clarisse denn nun sei, sie wolle gleich auch noch zu ihr, um sie nun endlich besser kennenzulernen.

  • Clarissa steht etwas unschlüssig am Fenster ihres Zimmers und ist sich nicht sicher, ob sie einfach zu Marie hinüber gehen soll, um sie zu begrüßen oder ob selbige vielleicht von der Reise erschöpft sein würde und lieber ihre Ruhe hätte. Nachdem sie allerdings eine Weile hin und her überlegt hat, entschließt sie sich zu gehen. Gewiß würde ihr ihre Cousine schon zu verstehen geben, wenn sie lieber alleine sein würde. Also macht sie sich auf den Weg zu Maries Zimmer & klopft dort an deren Tür.

  • Marie schaut auf, als es an ihrer Tür klopft und bittet herein.


    Sie sah überrascht aus. Manchmal war es schon komisch, dass Menschen urplötzlich auftauchen, wenn man von ihnen spricht.


    Marie stand vom Bett auf und ging auf Clarisse zu, die sie erwartungsvoll und doch zurückhaltend ansah.


    "Liebe Clarisse! Zu Dir wollte ich auch gleich. Wie schön, dass Du zu mir gekommen bist. Wie geht es Dir? Hast Du Dich eingewöhnt bei uns? Komm, setzt Dich zu mir aufs Bett."


    Marie ging wieder Richtung Bett und deutete Clarisse, es ihr nachzutun. Marie hatte zwar Stühle im Zimmer, aber die wurden selten genutzt... sie mochte ihr beguemes riesengroßes Bett.

  • Marie zum Bett folgend, ist Clarisse erleichtert, dass diese sich anscheinend freut sie zu sehen. Vorsichtig nimmt sie Platz und überlegt dann, wie sie Maries Fragen am besten beantworten soll. "Danke, mir geht es gut! Es ist sehr schön hier in Rendor!" Sie lächelt etwas unsicher und fährt dann fort, "Fanny hilft mir überall wo sie nur kann und mit Pyra habe ich mich ebenfalls ein bißchen angefreundet!" Ihr ist anzumerken, dass sie beide mag. "Dein Vater ist auch sehr nett! Auch wenn es immer noch ein seltsames Gefühl ist zu wissen, dass er mein Onkel ist..."

  • "Oh, das kann ich verstehen... es ist auch für mich schon komisch, noch weitere Familie zu haben, dachte ich doch immer, mein Vater und ich wären allein. Er hat mir von seinen Eltern erzählt, die tot sind - aber von eine Schwester nie..."
    Marie knabberte an ihrer Unterlippe herum und überlegte angestrengt - aber nein... nie ist ihm das Wort "Schwester" über die Lippen gekommen.


    Marie schaute zu Fanny herüber, die mit vielen Kleidern auf dem Arm gerafft aus dem Zimmer ging.


    "Ich bin froh, dass Du Dich mit Fanny gut verstehst.... sie war immer wie eine Mutter zu mir. Ich hoffe, Du kamst auch mit meiner Stiefmutter aus? Ich kenne sie auch erst seit kurzem. Mein Vater hat sie auf der letzten Reise kennengelernt und mitgebracht. Ich weiß nicht viel von ihr..." sagte Marie und dachte dann für sich - 'außer dass sie hiner ihrer schönen Fassade hässlich, gemein und hinterlistig scheint'.


    "Ich werde in wenigen Tagen aufbrechen zur Academia Valkenberg. Aber ich hoffe, sofern mein Vater noch nicht gleich wieder abreist, dass wir uns noch besser kennenlernen werden," Marie nahm Clarisse's Hände in die ihren und schaute ihr lächelnd in die Augen: "Ich hatte nämlich gehofft, dass wir sehr gute Freundinnen - ja, sogar mehr - da wir ja auch eine Familie sind - Schwester werden könnten..."


    Sie wartete gespannt auf Clarisse's Antwort.

  • Für einen Moment schaut Clarisse ihre Cousine nur wortlos an. 'Schwestern'... sie hatte nie Geschwister gehabt und ob der Menge an Kindern ihres Alters in der Nachbarschaft mit denen sie spielen und später auch lernen konnte, nie vermisst. So nickt sie nur vorsichtig und lächelt dann, "Bestimmt werden wir uns gut verstehen, immerhin bist du sehr freundlich!" Clarisse betrachtet ihre Hände und blickt dann wieder auf, "Ich will gerne deine Freundin werden, Marie! Aber wenn du fort gehst, dann wirst du sicher sehr viel zu tun haben am Hofe...!" Sie schweigt einen Moment und kommt dann auf Maries erste Fragen zurück. "Ja, Frau Fanny ist wirklich ein großer Schatz!" Ihre Augen leuchten dankbar und sie lacht leise, bevor sich ein leichter Schatten auf ihre Züge legt und sie anfügt, "Mit Madame de Moriba komme ich auch zurecht. Sie scheint eine äußerst beeindruckende Persönlichkeit zu sein." Ihre Worte sind vorsichtig gewählt.

  • Marie war über die Zurückhaltung der jungen Frau ihr gegenüber etwas enttäuscht. Sie freute sich doch über eine Verwandte. Sie hoffte, so sehr, sich sehr gut mit Clarisse zu verstehen, denn wenn ihr Vater einmal nicht mehr wäre - und das war ihr heute bewusst geworden, dass er schon sehr alt war -, dann würde Clarisse ihre einzige Verwandte sein. Ihre Stiefmutter zählte sie nicht mit ein, da sie sie nicht ausstehen konnte.


    Marie lächelte etwas gequält, war sie doch nicht gut darin, Gefühle zu verstecken.


    "Ja, ich werde bald in Kaotien sein und ein neues Leben beginnen. Doch das sollte uns nicht daran hindern, uns besser kennenzulernen. In wenigen Tagen werde ich abreisen und bis dahin wollte ich die Zeit unter anderem dafür nutzen, Dich besser kennenzulernen. Es würde mich daher sehr freuen, wenn Du in nächster Zeit diese mit mir verbringst. Und wenn ich erstmal hier ausgezogen bin,"


    Marie schaute sich in ihrem, so vertrauten Zimmer um und führte weiter fort:


    "hoffe ich, Du wirst Dich in diesem Zimmer genauso wohl fühlen, wie ich. Es soll das Deine werden. Am morgigen Tage werden alle meine Sachen in mein eigenes Haus gebracht werden."


    Marie stand auf und ging zum Fenster und schaute hinaus. Sie wollte sich nochmal alles einprägen. Sie hatte schon jetzt ein wenig Heimweh, auch wenn sie neugierig auf die - ihre - Zukunft war.


    "Ich würde mich natürlich auch freuen, wenn wir in Briefkontakt blieben und vielleicht ermöglicht Dir Vater, dass Du mich in Kaotien besuchen kannst. Das würde mich sehr freuen."


    Dann drehte Marie sich um zu Clarisse und fragte sie: "Möchtest Du vielleicht heute Nacht bei mir nächtigen? Wir könnten uns unterhalten und Du könntest mir von Deiner Familie erzählen und ich Dir von Vater. Und auch, was es für Dich noch so in Rendor zu entdecken gibt."

  • Clarisse spürt instinktiv, dass sie etwas Falsches gesagt oder getan hat und ihr ist anzusehen, dass sie dies bedauert. Rasch nickt sie also und antwortet Marie erfreut lächelnd, "Gerne will ich heute Nacht zu dir ziehen! Zu Hause habe ich mit Mutters Lehrmädchen in einer Kammer genächtigt!" Ein wehmütiger Ausdruck huscht über ihre Züge als die Erinnerungen an ihre Heimat wieder hervorkommen, doch schnell schüttelt sie den Kopf und wendet sich wieder ihrem Gespräch mit ihrer Cousine zu. "Morgen willst du schon fortziehen?" Ihre Stimme klingt bedauernd und fast scheint sie etwas bestürzt darüber, dass Marie so rasch fortgehen will. "Könntest du nicht noch so lange bleiben, bis du nach Kaotien musst?" Bittend schaut Clarisse sie an und erklärt dann leise, "Ich hatte gehofft..." sie bricht ab und strafft dann ihre Schultern, während sie Marie mit einem bemühten, aber doch verstehenden Lächeln anschaut, "Aber sicher möchtest du viel lieber in deinem eigenen Haus leben! Fanny hat mir davon erzählt und wie sehr du dich darauf gefreut hast dort schalten & walten zu können!"

  • Marie war ein wenig überrascht über Clarisse's Antwort, kam es ihr doch so vor, als wäre sie eher diejenige, die zu forsch war.


    "Meine Sachen werden definitiv morgen in mein Haus gebracht, was mich aber nicht daran hindern muss, die letzten Tage hier zu verbringen, wenn Du das Zimmer mit mir teilen magst. Du könntest Dir mein Haus morgen mit ansehen kommen."


    Fanny kam wieder ins Zimmer und Marie unterrichtete sie, dass beide jungen Damen die nächsten Tage in diesem Zimmer gemeinsam zu nächtigen gedachten. Dann bat sie Fanny, den beiden eine heiße Schokolade für Clarisse und für sich selbst einen Tee zuzubereiten. Marie hatte Hunger, hatte sie ja noch nicht gefrühstückt seit ihrer Ankunft.


    Außerdem war es ungewöhnlich kalt... nicht, dass sie sich eine Erkältung zugezogen hatte. Das würde gar nicht in ihre Reisepläne passen. Sie würde nachher eine Hühnersuppe zubereiten - das war das beste Mittel. Als Fanny die Getränke brachte und weise, wie die alte Frau war, auch ein paar belegte Brote, bat sie wiederum Fanny, Huhn und Rindfleisch zu kaufen, genauso Gemüse. Fanny erschrak ein wenig bei den Worten von Marie und befühlte liebevoll ihre Stirn: "Na, noch nicht zu heiß, Deine Stirn - aber Du solltest Dir mal Ruhe gönnen", sagte sie liebevoll zu Marie, die wie eine Tochter für sie war.


    Marie verneinte, hatte sie doch noch soviel zu tun. Für ihre Reise nach Kaotien war noch so viel zu besorgen, zu packen und dann morgen der Umzug ins neue Haus. Sie freute sich darauf, die fertigen Arbeiten der Handwerker zu begutachten. Fanny versicherte ihr, dass diese wahre Wunder vollbracht hätten.


    Marie und Clarisse unterhielten sich sehr lange. Zwischendurch packten beide einige restliche Sachen von Marie in Truhen. Als Marie sich wieder einmal bückte, fiel ihr die kaputte Kette aus der Rocktasche und Clarisse hob sie auf. Und so erzählte Marie ihr von der letzten Reise nach Aranien.


    Clarisse war sehr wissbegierig und fragte Marie alles Mögliche und Marie erzählte ihr alles, was sie wusste über die Länder, die sie bereist hatte, was sie von der Fürstin wusste und von einigen Persönlichkeiten, die sie auf diesen Reisen getroffen hatte.


    "Und dann gibt es da noch den lieben Herrn Bedevere - ein kaozischer Ritter -, den ich in Glessar kennenlernte und der auch bei Dunjas - meiner Freundin - Geburtstag war. Ich glaube, ich habe den Guten verkrauelt, weil ich ihm leider nicht die Zeit geschenkt habe, die er gerne mit mir verbracht hätte. Mir tat das ja auch furchtbar leid, aber ich hatte meiner Freundin ein Versprechen gegeben und ich breche meine Versprechen nicht oder nur sehr ungern... und am letzten Abend hab ich auch noch die Zeit mit einem anderen verbracht, was ihn bestimmt noch mehr verstimmte. Ich war dumm und habe nicht nachgedacht. Ich hätte auch Herrn Bedevere bitten können, mit mir frische Luft schnappen zu gehen... den ganzen Tag in der Küche bei stickiger Luft - ich wollte wirklich nur Sauerstoff einatmen und meine Beine bewegen. Aber ich wollte auch..." Marie schüttelte den Gedanken weg. Vielleicht war es besser, Clarisse noch nicht alles zu erzählen, schon gar nicht über ihr Gefühlsleben.


    Da fiel Marie plötzlich ein, dass sie beim Auspacken noch gar nicht ihr Tagebuch gesehen hatte... leichte Panik löste sich in ihr aus. Oje... wo war es nur... sie wühlte in ihrem Handarbeitenkorb... Oh - der Heiligen Jungfrau sein Dank! Da war es...