"...wieder nichts angerührt..."
Alisha hob mit nachdenklicher Miene das Tablett auf, dass auf einem kleinen Beitisch unweit der staubbedeckten Treppe im Flur stand. Sie flüsterte aber die Sorge in ihrer Stimme war dennoch deutlich zu hören. Auf dem Tablett, unberührt und inzwischen wenig ansehnlich, stand Schinken und scheinbar bald wieder zum Leben erwachender Käse. Die Milch hielt sich zwar noch tapfer, doch verlor den Kampf um die Genießbarkeit bereits sichtlich.
"Ist sie eigentlich überhaupt noch da oben?"
Alishas blassgrauen Augen hinter den blonden Strähnen ruhen an der geschlossenen Eichenholztüre oberhalb der Treppe, die zum Dachstuhl führte, auch wenn die Worte der Frau neben ihr gelten. Maket Schultern heben sich als Antwort. Beiläufig wandern ihre Finger über das seidigschwarze Fell der kleinen Katze, die sie auf den Armen trägt.
Alishas Stimme wurde ein wenig schriller.
"Jemand muss doch mal mit ihr reden... sie irgendwie dazu bewegen... Ach... geh doch mal nachschauen, sie kann doch nicht die ganze Zeit..."
"Das ist verboten...," Im Gegensatz zu Alisha wirkt Makets Stimme ruhig, sorgenfrei, bar von Emotionen. Ihre Aussage wirkt wie ein Befehl und lässt ihr Gegenüber kurz verstummen.
Die Katze jedoch scheint genug zu haben. Sie entwindet sich den Armen und läuft erhobenem Schwanzes den langen Flur entlang. Mit einem kurzen Deut auf das Tablett, fährt Maket fort...
"Schaff das in die Küche und kümmere dich lieber um die Arbeit."
Alisha wirft ihrer Freundin einen grimmigen Blick zu und faucht leise: "Dir scheint es scheinbar egal zu sein, was mit ihr ist... manchmal du bist kälter als Eis."
Beleidigt und mit einem letzten Brummen wendet sich das blonde Mädchen samt Tablett ab und folgt der Katze in die Küche. Maket sieht ihr stumm hinter her. Ein Stirnrunzeln, dem leicht zusammengekniffene Augen folgen.
"...ich hatte eine gute Lehrerin...," flüstert sie leise für sich, wendet ihren Kopf und die wieder ausdruckslosen Gesichtszüge in Richtung der geschlossenen Türe.
"Keine all zu Gute..."
Die Stimme kam aus einer kleinen Nische, wo ein hüfthoher Kerzenständer am Abend das nötige Licht im Flur verbreitet. Jetzt am Tag war er aus, die Kerzen wurden für die Nacht gespart.
Eine schwarzgewandete Gestalt tritt aus dem Schatten und Maket, deren Blick wieder in Richtung Flur gewischt war, wundert sich einen Moment, wo sie gestanden haben soll. Die Nische bot nur Platz für den Kerzenhalter... niemals hatte dort... andererseits...
"...Ihr macht euch rar Herrin... rarer als sonst." Sich auf ihr Gegenüber zu konzentrieren, half die wirren Gedankengänge abzuschütteln, die sich Makets kurz bemächtigt hatten. Ihr Gegenüber war stehengeblieben und wirkte wie ein lautloser großer schwarzer Fleck inmitten des Flurs. Nur die Katze, welche von ihrer Herrin Seele getauft worden war und die den Weg aus der Küche zurück gefunden hatte, mehr ihre tiefgrünen Augen boten ein paar Kontraste.
"Ich weiß... Melancholie sollte nicht zu meinen Eigenschaften gehören... sie lenkt zu sehr ab. "
Das müde Lächeln, das den Worten folgt war für Maket nicht zu erkennen, denn die Züge der dunklen Gestalt, liegen in der Dunkelheit einer Kapuze, die sie auf dem Kopf trägt, verborgen.
"Ich fürchte, ihr müsst lernen mit der Trauer umzugehen Herrin. Ich sollte die Letzte sein, die euch an eure Aufgaben erinnern muss."
Mit dieser Aussage nimmt sie sich viel heraus, Maket wußte dies aber sie kam nicht umhin sich einzugestehen, dass ihr Gegenüber in den letzten Monden weder durch ihre nötige Anwesenheit glänzte, noch anscheinende genug gegessen und geschlafen zu haben. Auch die zum Teil blutverkrusteten Kleidungsstücke und Mullbinden, die sie ohne Alishas Wissen nachts im Keller wusch und trocknete... liessen nichts Gutes erahnen.
Als Antwort neigt sich die Kapuze ein wenig zur Seite. Schatten verlagern sich und irritieren Maket, weil sie scheinbar nicht den Gesetzen der Physik Folge leisten. Aber wie auch immer, das nun das folgende Donnerweter würde sie stoisch über sich ergehen lassen. Zorn war schließlich gegenüber der kranken Stille der letzten Zeit ein wesentlicher Fortschritt. Doch die Maßregelung bleibt aus.
"Du tust es dennoch... und hast alles Recht dazu. Aber jetzt... geh deinen Aufgabe nach... Ich denke, wir bekommen bald interessante Gäste."
Maket nickt und atmet leise aus. Ihr Gegenüber ist verschwunden, dabei hatte sie nicht einmal das Gefühl gezwinkert oder ihren Blick sonst wie abgewendet zu haben. Die Treppe hinter ihr liegt weiterhin unberührt unter einer zarten Decke aus Staub, doch durch das Schlüsselloch der Türe glimmt ein zaghaftes Licht durch die Dunkelheit. Jemand hatte eine Kerze entzündet und Maket entscheidet sich für ein Lächeln, als sie den orange-roten Schein wahrnimmt.
Wie hiess es noch gleich? Ach ja...
Niemand in Kephram versteht die Sprache der Tränen. Sie ist das Erste, das man verlernt, wenn man in Kephram lebt... sie ist das Letzte, was man spricht, wenn man in Kephram stirbt.
((danke Lesco für diesen schönen Satz))