Das Hospital von Renascân (2)

  • Später.


    Dania trug ein Tablett, auf dem zwei Becher, eine Kanne und ein Brett mit belegten Broten lagen. Das alles balancierend klopfte sie an die Tür von ehemals Edrics, nun Alanis' Dienstzimmer.

  • Alanis zuckte hoch. War sie eingeschlafen? Die zerknickte Feder zwischen ihren Fingern und die schwarze Tinte an ihrer Rechten sprachen eine recht eindeutige Sprache. Die Priesterin seufzte. Irgendwann sollte sie mal dringend darüber nachdenken, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Und überhaupt.


    "Herein!"

  • Dania drückte die Klinke mit dem Ellenbogen herunter und stieß die Tür mit dem Knie auf. Sie lächelte Alanis zu, registrierte zerdrückte die Feder.


    "Was auch immer Ihr tut: Vergesst niemals zu essen."


    sagte sie lächelnd und stellte das Tablett vor Alanis ab. Sie fand dort deftiges Schwarzbrot mit Wurst und Käse, dazu eingelegte Gurken und frische Tomaten.


    "In der Kanne ist Pfefferminztee. Wegen des Wetters kalt. Darf ich?"


    fragte sie und zeigte auf den Stuhl. Sie war offensichtlich nicht gewillt zu gehen, bevor sie Alanis nicht hatte essen sehen.

  • "Öhm." Alanis wirkte ein wenig überfahren. Mit Fürsorge konnte sie nicht wirklich umgehen. Sie stand auf, legte die Feder zur Seite und fischte ein vergessenes Putztuch aus der Patientenablage, um sich zu säubern. Was anfangs kleine, schwarze Flecken gewesen waren, wurde nun großflächige, graue Flecken. Man konnte das als Erfolg werten, musste es aber nicht. "Ja, setz Dich doch."


    Alanis dehnte ihre Arme und das Genick, was ein hässliches Knacken zur Folge hatte, dann nahm sie nach kurzem Zögern eine Tomate und biss hinein. Das geliebte Aroma - Alanis hatte eine ausgesprochene Vorliebe für alles, was mit dem roten Gemüse zu tun hatte - entlockte ihr ein Seufzen.


    "Danke." Das war tief empfunden. "Das mit dem Essen vergesse ich wirklich immer."

  • "Verständlich, wenn auch nicht förderlich."


    sagte Dania und grinste.


    "Noch einen Ausfall können wir uns wirklich nicht erlauben."


    setzte sie noch hinzu und verzog das Gesicht ein wenig.


    "Habt Ihr... habt Ihr etwas über Edric herausgefunden?"


    fragte sie zögerlich und lehnte sich zurück.

  • Alanis schüttelte den Kopf. Die Tomate war mit erstaunlicher Geschwindigkeit in ihrem Mund verschwunden und sie linste zu dem Brot. Wenn auch nur kurz.


    "Nein. Der schmierige Kerl, mit dem ich mich unterhalten habe, wollte sich nicht darauf festlegen, wie lange die Ermittlungen dauern könnten. Oder wie es Edric geht. Oder warum man ihn eigentlich verhaftet hat."


    Unzufrieden verzog sie den Mund.


    "Er hat sich für Edrics Privatleben interessiert. Und wer die Buchhaltung macht."

  • Ein enttäuschter Ausdruck trat auf ihr Gesicht. Eine schlimme Situation war aushaltbar, wenn ein Ende abzusehen war. Aber so nahm es jede Hoffnung.


    "Vielleicht eine .. Ablenkung? Edric hätte nie bewusst die Bücher falsch geführt. Das ist Unsinn."


    Sie seufzte tief und sah dann Alanis an.


    "Was tun wir jetzt? Wir können doch nicht einfach nur abwarten, oder?"

  • "Soweit ich die magonische Rechtsprechung kenne, ist jeder Vedächtige schuldig, bis seine Unschuld bewiesen ist", sagte Alanis mit einem schiefen Lächeln und lehnte dann den Kopf ein wenig zur Seite. "Wie kommst Du auf die Sache mit der Ablenkung?"

  • Dania schnaufte.


    "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Edric etwas Falsches getan hat. Dass er für schuldig gehalten wird hin oder her. Wir können ja nicht einmal den Beweis erbringen, dass er es nicht ist. Die Bücher sind ja weg. Wir können sie nicht einmal nachprüfen."

  • Dania hielt inne als sie verstand, in was sie sich da hinein geredet hatte.


    "Ich.. nein.. es ist nur..."


    Für einen Moment rang sie nach Worten.


    "Es ist doch so, dass es nur der Sicherheit aller dient, wenn erst einmal bei einem Verdachtsfall jemand für schuldig angenommen wird. Aber manchmal ist er es eben nicht. Das hat nichts mit .. Fehlern zu tun sondern vielmehr Vorsicht, die sich - den Göttern sei Dank! - am Ende für unnötig herausstellt. Aber das weiß man ja erst nicht. Sie kennen Edric nicht. Sie wissen also nicht, dass er sowas nicht tun würde."

  • Alanis musste lächeln, als sie Danias Gesichtsausdruck sah und entschied sich, die Katze aus dem Sack zu lassen.


    "Ich weiß es nicht, ob Edric Geld unterschlagen hat - ich schätze ihn nicht so ein, aber so gut kenne ich ihn nicht. Aber ich habe begründeten Verdacht, dass das mit den Büchern ein Vorwand ist, um ihn festzusetzen. Leider sind meine Beweise dafür sehr schwach auf der Brust."

  • Alanis nickte und ihre Schultern hoben und senkten sich unter einem Seufzer.


    "Wie gesagt - die Beweise sind verdammt dünn. Sie zu benutzen, kommt eigentlich einer öffentlichen Selbsthinrichtung gleich." Sie schaute unzufrieden.

  • In der jungen Hebamme rang der Wunsch zu wissen um helfen zu können und der Gedanke, dass das alles möglicherweise zu groß für sie sein könnte.


    "Was gedenkt Ihr zu tun?"


    fragte sie leise und sah auf einmal furchtbar müde aus. Ihr war klar, dass sie von Alanis nicht erwarten konnte sich in diese Bresche zu werfen.

  • "Tjaa, wenn ich das wüßte", erwiderte die Priesterin gedehnt. "Eine Sache wäre, es einfach möglichst vielen Menschen zu erzählen und dann genau denselben Weg zu gehen, wie Edric ihn wissentlich gegangen ist - er wußte, was auf ihn zukam, als er in die Präfektur gegangen ist. Und dann abwarten, ob sich die Bürger auf unsere Seite schlagen oder nicht."

  • "Das würde Chaos nach sich ziehen. Und Angst, Panik."


    Ihre Schultern waren herab gesunken. Taten sie nichts, würde sich an Edrics Situation vermutlich nichts ändern. Verbreiteten sie die Geschichte, würde vielleicht Edric frei kommen, aber möglicherweise wäre Renascân dem Untergang geweiht.


    "Haben wir noch eine Möglichkeit?"

  • "Erpressung. Bedrohung. Oder ich bearbeite so lange ein paar einheimische Priester, bis sie mir helfen, einen gewissen Eindruck zu hinterlassen."


    Ersteres war tatsächlich so trocken gesagt, dass man merken konnte, dass sie diese Dinge durchaus als Möglichkeit ansah.

  • Dania schaute erst verdutzt.


    "Auf ersteres könnte uns die Antwort nicht gefallen. Vermute... ich."


    sagte sie langsam und musterte Alanis aufmerksam. Ihr war sichtlich unwohl bei dem Gedanken, Priesterschaft gegen designierte Obrigkeit auszuspielen. Ob das die einzige Möglichkeit war? Sie war nicht dumm. Adel hielt sie zwar für die von den Göttern eingesetzten Anführer des Volkes, aber mancher von Stand war mehr eine Prüfung denn eine Stütze.
    Mit einem Blick streifte sie das Brett mit dem Brot, hob eine Augenbraue und sah Alanis an. Dann wieder das Brett. Die Tomate reichte wohl nicht um sie zufrieden zu stellen.

  • Alanis seufzte und griff nach dem Butterbrot. Während sie aß, begann sie, im Raum hin und her zu gehen. Die weich fallenden Röcke ihres grauens Kleids schwangen energisch hin und her. Sie hasste die Zwickmühle, in der sie steckte, sie bereitete ihr Bauchschmerzen.


    "Jegliches Mittel, das wir wählen, ist schlicht und einfach mit einem Risiko behaftet. Edric in Gefängnis lassen ist keine Option. Aber etwas zu unternehmen dürfte mich vermutlich hinterherwandern lassen."