Das Hospital von Renascân (2)

  • Dania seufzte tief. Sie wusste keine Lösung. Sie wusste gar nichts mehr. Ihre Schultern sackten herab und ihre Stirn war in tiefe Falten gelegt. Nur zu gern hätte sie von der älteren Heilerin gehört, was zu tun war, was richtig war. Manchmal sollte die Welt einfach sein.
    In diesem Falle war sie es aber nicht. Ihre Sorge um Edric wollte Alanis sagen, dass sie doch etwas tun musste. Rasch! Aber ebenso war ihr klar, dass sie von ihr nicht verlangen konnte, dass sie etwas tat und dass es möglicherweise sogar dumm und unüberlegt wäre. Edric hatte sie immer getadelt, wenn sie zu hastig war und dadurch Fehler machte. Also senkte sie den Kopf und schwieg.


    Als das Scheppern ertönte, sah sie auf.

  • Im Raum stand Delpior, im Nachtgewand, auf einen Schrank gestützt. Vor ihm lagen ein Tablett sowie die tönernen Scherben einer Teekanne sowie eines Bechers.


    Er war blass und lächelte Alanis schräg an


    "...tschuldigung. Irgendwie hätte ich gedacht, dass ich das hinkriege."

  • Alanis kaute noch den Bissen, den sie im Mund hatte und schluckte ihn hinter.


    "Tse, kaum auf den Beinen, schon wieder Randale."


    Sie atmete durch, grinste schmal und bückte sich dann nach den Scherben und dem Tablett, um alles geschickt aufzusammeln und auch keine Splitter zu hinterlassen.


    "Wolltest Du das wegbringen oder holen, Delpior?"

  • "Wegbringen. Eigentlich. Und mir ein paar normale Klamotten holen, damit ich hier nicht wie ein Gespenst aussehe. Ist nicht gerade das, was man in Rokono grad trägt, oder?"


    Er hob einen Arm leicht, um den weiten Ärmel des Nachtgewandes etwas flattern zu lassen, dann verzog er leicht das Gesicht


    "Autsch. Rippen, oder?"

  • "Allerdings. Also sowohl Rippen als auch Rokono." Alanis nickte und klemmte sich das Tablette unter den rechten Arm. "Drei Rippen sind durch, da wirst Du noch ein wenig länger Spaß dran haben. Was macht der Kopf? Schwindelig? Sehstörungen?"

  • Er kniff abwechselnd und mehrfach mal das linke, mal das rechte Auge zu, was ziemlich albern aussah


    "Sehstörungen? Nein. Schwindelig? Nee. Der Kopf brummt noch etwas, und insgesamt hab' ich das Gefühl, als wären ein paar Ochsenkarren über mich drüber gerollt. Wird wohl am Wetter liegen...und selbst? Siehst blass aus."


    Er grinste gequält

  • "Tja, ist halt gerade keine gute Zeit für das Hospital." Alanis verzog den Mund und winkte Dania zu sich heran. "Aber es ist gut, dass ich Euch beide gerade hier habe. Ich muss einige Dinge erledigen." Ein Blick traf Dania, in dem eine ganze Kinderwagenladung an Bedeutungsschwangerschaft lag. "Morgen werde ich wohl für einige Zeit weg sein. Delpior, kannst Du dann hier übernehmen?"

  • Dania sah Alanis an. Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals. Langsam nickte sie und lächelte etwas gequält.


    Mit aller Inbrunst sandte sie ein stummes Stoßgebet an die Herrin Laya.

  • Keine gute Zeit? Naja, ganz so wichtig bin ich ja auch wieder nicht, oder? Aber morgen übernehmen kann ich wohl schon, solange ich nix schweres heben muss. Ich will nicht mehr rumliegen."


    Er fasste sich ins Gesicht, wo ein immer noch geschwollenes Veilchen prangte


    "Für Patienten wird's halt kein so schöner Anblick sein, wenn der Heiler selbst so mitgenommen aussieht. Aber das kriege ich hin. Zur Not erzähle ich ein paar Witze. Nur lachen sollte ich nicht...Rippen und so..."


    Er verzog den Mund


    "Gibt's sonst was neues?"

  • "Tja, was gibt es Neues", erwiderte Alanis gedehnt. "Die ersten Patienten kommen wegen der Krankheiten zu uns. Ich bin von der Präfektur als vorläufige Leiterin des Hospitals bestätigt worden. Und die Gardeheiler haben mich herbeizitieren wollen, was ich jedoch ablehnen musste."


    Um ihre Lippen zuckte ein kurzes Lächeln. Sie hatte einen Plan gefasst. Erst einmal würde sie darauf warten, wie viele der anderen Männer, die Moira gezeichnet hatte, mit entsprechenden Symptomen zu den Heilern kamen. Sie ging davon aus, dass sich das bis zum nächsten Tag nach und nach ergeben würde. Die Tatsache, dass jeder Mann auf der Zeichnung den Kontakt mit der Frau bestätigte und womöglich sogar infiziert war, würde möglicherweise noch einmal ihren Standpunkt unterstreichen. Sie musste eben an Argumenten nehmen, was sie hatte. Und die Trümpfe nicht aus der Hand geben. Zumindest nicht allzu schnell.

  • "Keine Aussage darüber, was man ihm vorwirft. Wie lange es dauert, die Vorwürfe gegen ihn zu prüfen." Alanis lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme. Ein wenig von ihrer Wut sprühte aus ihren Augen. "Oder wie es ihm geht!"


    Sie konnte sich durchaus vorstellen, dass letztere Frage momentan die Drängendste war. Mitwisser, so hatte sie es gelernt, lebten meist nicht lange.

  • "Ich hoffe, dass sich die ganze Situation aufklärt und wir bald wieder - mit Edric als Leiter - zur Tagesordnung zurückkehren können." Alanis fuhr sich die vom Schlafen wirren Haare und bewirkte, dass die Strähnen noch wilder abstanden. "Übrigens - falls uns ein echter Notfall vor die Schwelle fällt, dann behandeln wir den auch, ganz gleich was die Präfektur sagt. Das geht dann auf meine Kappe."

  • Delpior nickte


    "Ja, das hoffe ich auch, dass sich das schnell aufklärt. Ist sicher irgendein ein blödes Missverständnis. Hoffe ich. Ganz bestimmt ist es das."


    Auch er ließ seine Schultern hängen


    "Ich geh' mir mal was halbwegs vernünftige anziehen. Rokono und so..."

  • "Ah, Rokono." Für einen Moment schaute Alanis verträumt drein. Wie lange war das her? Drei Jahre? Wie die Zeit verging. Es waren trotz allem gute Zeiten gewesen, die sie wehmütig machten.


    Sie riß sich aus den Gedanken und winkte Delpior kurz hinterher. Dann entschuldigte sie sich bei Dania und machte sich daran, die Zeichnungen von Moira zusammenzusuchen, die Patientenliste dazuzulegen und zudem einen Brief zu schreiben, in dem sie alles, was bisher geschehen war, dokumentierte. Schließlich versiegelte sie das Schreiben und legte es wieder an den Platz, an den Edric die Zeichnungen deponiert hatte.

  • Die Nacht kam und brachte manchem Bediensteten im Hospital unruhige Träume. Der Morgen brach an. Es würde ein schöner Tag werden, sommerlich, aber nicht zu heiß, denn der Himmel war mit leichten, nicht zu dichten Wolken versehen. Renascân erwachte langsam...

  • Alanis hatte in dieser Nacht einmal wirklich gut geschlafen - und sogar mehr als sechs Stunden. Dementsprechend sah sie einmal nicht auf wie eine wandelnde Leiche, wie sie erfreut feststellte, als sie in ihren Handspiegel sah. Nach einer ausgiebigen Haar- und Restwäsche ging sie hinunter ins Hospital und verbrachte die kommenden Stunden damit, die nach und nach eintreffenden Patienten, die sie und ihre Kollegen in den letzten Tagen angesprochen hatten, zu sichten und auf die Behandlung vorzubereiten.


    Schließlich beschloss sie sich am späten Nachmittag auf den Weg zur Residenz der von Saarweilers zu machen. Vorher jedoch sucht sie nach Delpior und Dania.