Das Hospital von Renascân (2)

  • "Dorn war - sehr erschrocken. Ein einfaches Gemüt wie ihn könnte meine Diagnose nachhaltig beeindrucken, aber vielleicht auch das genaue Gegenteil bewirken. Er hat versprochen, morgen wiederzukommen und ich bitte Euch, Euch selbst ein Bild von ihm zu machen. Diese ganze Sache erscheint mir so heikel, dass ich ohne Eure Erfahrung ungern weitere Schritte unternehmen möchte."


    Grüblerisch strich sie sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn.


    "Im übrigens wäre es ja auch möglich, dass die Frau sich nicht bei ihrem Ehemann angesteckt hat", gab sie zu bedenken. "Aber gut, bis sie zur weiteren Behandlung wieder hier ist, können wir eh nichts Genaues sagen - oder uns entscheiden, sie aktiv zu suchen. Ich habe von Dorn und seinem Kumpan ja auf jeden Fall schon einmal die Beschreibung der käuflichen Frau, von der sie die Krankheit haben könnten. Ich würde gerne versuchen, sie ausfindig zu machen und sie erst einmal ohne, ehm, nachdrückliche Mittel anzusprechen."


    Sie blinzelte kurz, weil sie einen Halbsatz von Edric fast überhört hätte.


    "Soll ich einen Bericht für die Obrigkeit verfassen? Wollt Ihr Euch darum kümmern?"


    Die Auseinandersetzung mit der magonischen Obrigkeit brachte sie immer an den Rand eines Tobsuchtsanfalls, den sie sich gerade eigentlich nicht leisten wollte. Dementsprechend krauste sich ihre Nase ein wenig.

  • "Ob die Frau ihren Mann angesteckt hat oder umgekehrt, das macht für uns wenig Unterschied. Einer der beiden wird es sich irgendwo geholt haben, vom Himmel wird es nicht gefallen sein. Und beide können es irgendwo weitergegeben haben oder das noch tun, die Herrin Laya möge über ihre Untreue richten. Ich werde jedenfalls den Mann einbestellen lassen. Gleich morgen. Delpior soll das ihn irgendwie hierher schicken, man muss ja nicht gleich ein großes Getratsche hervorrufen.


    Und diesen Dorn sehe ich mir auch morgen an, wenn er wieder zu euch kommt. Ich kann für ihn nur hoffen, dass er freiwillig kommt. Auch seinen Kumpan sollten wir im Auge behalten. Ist ja nicht auszuschließen, dass beide doch bei der gleichen Dirne waren."


    Wieder schüttelte er den Kopf


    "Um die Obrigkeit kümmere ich mich, zum Glück ist das ja keine Sache, mit der ich zur Kämmerei muss. Und wenn man es von euch direkt hören möchte, wird man euch schon einbestellen. Kümmert ihr euch darum, mehr über diese Dirne herauszufinden. Wir werden nicht viel Zeit haben, das ist sicher. Wenn wir nicht schnell Erfolg haben, werden ohnehin die Uniformen das Heft in die Hand nehmen."

  • "Ah, dann kennt Ihr die Frau, die bei mir war und ihren Mann und wißt, wo sie zu finden sind? Sie hat also nicht gelogen, was ihren Namen angeht?" Alanis lächelt erleichtert. "Das ist gut."

  • "Kennen ist zu viel gesagt. Was hätte sie davon, zu lügen? So groß ist Renascân ja auch wieder nicht. Die Martins wohnen in der Unterstadt, zwei Gassen hinter dem Kontor von van Daik, ein ziemlich ärmliches Häuschen, wie so einige dort. Und sie hat gesagt, ihr Mann sei Händler? Naja, so kann man das natürlich auch bezeichnen. Ich würde es ihm jedenfalls zutrauen, dass er das Übel nach Hause gebracht hat, aber wer weiß das schon?"

  • Die Information überraschte Alanis ein wenig, da die Frau nicht wirklich ärmlich gewirkt hatte. Aber die Menschen taten ja eh niemals das, was man von ihnen erwartete.


    "Dann würde ich mich jetzt auf die Suche nach der Hübschlerin machen, bei der Dorn war", sagte Alanis dann und schaut Edric fragend an.

  • "Ja, das ist gut. Ich werde Delpior Bescheid geben, dass er herunter kommt und hier übernimmt. Ich mache mich dann gleich auf zur Präfektur, den Weg kenne ich ja bereits. Dann mal viel Erfolg."


    Edric verzog den Mund. Vermutlich hatte er sich den Abend anders vorgestellt.

  • Kurz nachdem Alanis gegangen war, betrat Delpior aus einer der hinteren Türen das Hospital. Edric hatte ihm aufgetragen, den Dienst zu übernehmen und am Vormittag des nächsten Tages in die Unterstadt zu gehen, um Berno Martins für eine Untersuchung ins Hospital zu holen. Reine Routineuntersuchung im Rahmen der Überprüfung der Volksgesundheit.


    Es war ruhig im Hospital. Aber man wusste ja, dass immer irgendwas passieren konnte. Ein ungeschickter Tritt, ein falscher Handgriff, ein abgerutschtes Küchenmesser - und schon gab's was zu tun. Heute Abend allerdings schienen die Bewohner von Renascân es vorzuziehen, unverletzt zu bleiben.

  • Es war schon fast dunkel, als Alanis und ihre Begleitung das Hospital betraten.


    "Hallo!", rief die Priesterin beim Hereinkommen und hängte ihren Umhang - trotz des Sommers waren die Nächte noch immer empfindlich kalt - an den Haken im Vorzimmer. Dann wandte sie sich an die Hübschlerin und wies auf ein Untersuchungszimmer. "Dann wollen wir mal."

  • Moira fügte sich ihrem Schicksal und ging in das Behandlungszimmer. Wenn Alanis genau hinschaute konnte sie sehen, das Moira blasser war als vorher und nervös an ihren Fingern spielte. Ihre fauchende Art vom Hafen war völlig verschwunden und sie machte genau das was Alanis von ihr wollte, sodass Alanis ihre Untrsuchung in Ruhe machen konnte.

  • Alanis zog sich Handschuhe an, als es zur Untersuchung ging und als diese beendet war, grübelte sie für einen Moment vor sich hin. Dies war nicht dasselbe akute Krankheitsbild wie das, was sie bei Hennes und ihrer ersten Patientin gesehen hatte. Dies war deutlich weiter fortgeschritten.


    "Bei wem wart Ihr in Behandlung?", fragte sie Moira.

  • "Behandlung?" Moira schaut sie verständnislos an. "Keiner hat das behandelt. Ich war vor einiger Zeit bei einer Bekannten, die Kräuterfrau ist. Damals, als ich noch nicht hier war. Ich habe ihr von den wunden Stellen erzählt. Sie hat mir eine Salbe gegeben. Salbei und irgendwas. Vielleicht Ringelblume. Seit dem trage ich das selber auf die wunden Stellen auf. SIe sagte das sein nichts ernstes. Das kommt häufiger mal vor. Irgendwas mit der Haut."

  • Alanis runzelte die Stirn - die Ähnlichkeit mit einer Schuppenflechte oder anderen entzündlichen Hauterkrankung war auf jeden Fall vorhanden und sie wollte nicht noch einen Fehler machen. Sie tastete die Lymphknoten der Frau noch einmal ab.


    "Wie geht es Euch in letzter Zeit? Ich weiß, dass es in Eurem Beruf schwer ist, Schmerzen, Müdigkeit und Schwäche von einer Krankheit zu unterscheiden, aber vielleicht ist Euch dennoch etwas aufgefallen?"

  • Moira überlegt kurz.


    "Seit ich hier bin, geht es mir eigentlich ziemlich gut. Auf dem Schiff hierher ging es mir ziemlich schlecht. Aber ich vermute, dass das an der Seekrankheit lag."


    Nach einem Moment des Schweigens fügt sie unsicher hinzu: "Es ist doch alles in Ordnung, oder?"

  • Alanis zog die Handschuhe aus und legte sie auf den kleinen Tisch, auf dem ihr Arztbesteck lag. Nachdenklich zupfte sie an ihrer Unterlippe.


    "Die Symptome sind zu unauffällig für eine klare Diagnose", murmelte sie und blickte dann die Frau an, sich plötzlich erinnert, dass Moira damit wohl nicht viel anfangen konnte. "Kommt bitte morgen früh noch einmal wieder", sagte sie dann und begann, sich Notizen in ihrem Buch zu machen. "Ich möchte mich mit meinen anderen Kollegen beraten." Sie stutzte kurz. "Habt Ihr von jemandem im Eurem Umfeld gehört, der krank ist? An einer Geschlechtskrankheit, meine ich?"

  • "Nein ich kenne niemanden."


    Moira macht nicht den EIndruck, als würde sie wirklich verstehen was vor sich geht, versichert Alanis aber, dass sie am nächsten Tag wiederkommen würde.

  • Alanis verabschiedete die Frau freundlich - erstaunlich freundlich - und machte sich dann wieder daran, ihre Notizen durchzusehen. Sie beschloss, sich noch einmal mit Edric und auch Luicatus zu besprechen, wenn Zeit dafür war.


    Da sie noch nicht müde war, zog sie ihren Mantel über und ging vor die Tür des Hospitals, um eine Galena zu rauchen und zu warten, ob Edric noch einmal hereinkam.

  • Es dauerte eine ganze Weile, bis Edric von seiner erneuten Unterredung im Präfekturgebäude zurückkehrte und Alanis vor dem Hospital vorfand. Er sah alles andere als glücklich aus, das konnte man selbst im Halbdunkel der trüben, aber sommerlichen Nacht erkennen.


    "Zumindest diese Pflicht wäre getan. Die Obrigkeit weiß Bescheid. Wart ihr erfolgreich?"


    Er sprach leise.

    Thankmar Rhytanian
    Botschafter Magoniens zu Montralur

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  • Alanis rieb sich kurz über die müden Augen, als Edric zu ihr trat und reichte ihm ihr Buch.


    "Das ist das Untersuchungsergebnis von Moira, nebst Skizze der entsprechenden Körperpartie. Ein paar Anzeichen sprechen für eine Infektion, aber einige auch dagegen. Leider habe ich die Krankheit noch nie zum Ende des ersten Stadium gesehen, daher bin ich mir unsicher."

  • Edric nickte "Lasst uns nach drinnen gehen."


    Dort studierte er die Notizen


    "Das sieht nicht so aus, als hätte sich noch niemand um sie gekümmert. Wie beschreibt sie selbst ihre Situation? Die Begeisterung wird sich ja etwas in Grenzen gehalten haben, dass sie ihre...Tätigkeit...nun ruhen lassen muss. Es wäre unter Umständen verheerendl, wenn sie das auf die leichte Schulter nehmen würde."