Das Waisenhaus

  • Oh, das sind aber viele. Das hätte ich gar nicht gedacht. Aber es sind bestimmt auch Kriegswaisen dabei.
    Nun schaute Jolante ganz traurig. Sie hatte ehrliches Mitgefühl für die Kinder. Dann hellte sich ihr Gesicht aber wieder auf und sie lachte auf.
    Aber es scheint ihnen hier ja gut zu gehen!


    Die Schankmaid setzte sich auf die Bank und wartete ruhig, bis Johanna zurück kehren würde. Neugierig beobachtete sie Marte und versuchte mit Hilfe ihrer Nase und Augen herauszufinden, was die Frau gerade kochte.

  • Marte war mit kräftigen Händen dabei, Karotten zu schälen und kleinzuschneiden. Im Kessel briet offenbar etwas an, das mit Speck, Kartoffel und verschiedenen Gewürzen zu tun hatte. Hin und wieder war die Frau über ihre Schulter Jolante einen Blick zu, dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Arbeit.


    Johanna indes machte sich auf die Suche nach Nela, kehrte jedoch nach einer Viertelstunde erfolglos in die Küche zurück.


    "Sie ist nicht hier", informierte sie Jolante bedauernd. "Zumindest nicht im Haus. Ich vermute sie ist wieder mal im Wald oder geht in den Gassen spazieren. Soll ich ihr sagen, dass Du sie gesucht hast?"

  • Jolante lächelte Marte freundlich an, wenn diese nach ihr sah, doch verhielt sich sonst sehr ruhig. Das Warten schien sie nicht zu stören.
    Als Johanna die Küche wieder betrat, stand sie auf und schaute ganz erwartungsvoll und aufgeregt.
    Nicht da?
    Bei der Nachricht, schlug sie die Augen nieder und wirkte äußerst traurig.
    Das wäre sehr freundlich, wenn Ihr ihr Bescheid sagen könntet. Dankeschön. Dann will ich Euch nicht weiter stören. Danke, Frau Johanna.
    Jolante wandte sich zum Gehen.

  • Johanna schaute ein wenig betreten ob des Unglücks, das ihre Nachricht auslöste. Sie ging mit Jolante zur Tür.


    "Ich sage Ihr, sie soll Dich im 'Zaunkönig' suchen. Sie geht eigentlich ganz gerne dahin, also wird sie sicherlich vorbeikommen."

  • Bedröppelt lief die Schankmaid neben Johanna her.
    Ja, da bin ich meistens. Danke.
    Jolante hatte schon ein Bein durch die Tür, da drehte sie sich unvermittelt noch einmal um, drückte die Priesterin kurz, aber herzlich, und eilte mit einem erneuten "Danke" hinfort.

  • Johanna nieste, hustete und seufzte. Seit drei Tagen hielt sie ein hartnäckiges leichtes Fieber im Bett und so war sie, da sie keines der Kinder anstecken wollte, dazu gezwungen, gestützt in zahlreiche Kissen, an der Wand hinter ihrem Bett zu lehnen, Unmengen Tee zu trinken und in den Zeiten, in denen sie nicht schlief, hustete oder nieste, das Hauptbuch des Waisenhauses zu überprüfen. Mit den Spenden der letzten Zeit hatte sich die Lage zum Glück stabilisiert. Aber sie sah es schon kommen - irgendwann würde die Präfektur ihr wohl die finanzielle Unterstützung entziehen, wenn sie weiter so erfolgreich Spenden sammelte. Das Problem war nur, dass Spender wankelmütig waren.


    Johanna zog eine Schnute und tastete in den Falten des Bettzeugs nach einem Taschentuch. Dabei streiften ihre Fingerspitzen ein braunes, ledergebundenes Büchlein, das sie nach kurzem Zögern mit einem Schmunzeln hervorzog. In der vergangenen Nacht hatte sie, halb im Fieber, halb im Scherz, eine Liste derer gemacht, die ihr in letzter Zeit aufgefallen waren.


    Sie war im elften Jahr verwitwet. Es wurde Zeit, sich wieder zu verlieben. Und es konnte nicht schaden, die Gedanken einmal zu ordnen, bevor die Herrin das Übrige tat. Am Ende würde es Laya schon richten.


    Johanna schlug eine Seite relativ in der Mitte des Buchs auf und las noch einmal durch, was sie in der Nacht im Kerzenschein geschrieben hatte.


    Tauron von Daik: Einmal probiert. Funktioniert leider nicht. Er ist zu oft weg. Großzügig ist er allerdings in jeder Hinsicht.


    Veit von Saarweiler: Wunderschöne Augen. Aber die schlechtesten Komplimente aller Zeiten. Aber der lernt es vielleicht auch noch. Sollte seine Schwester kennenlernen.


    Eduard von Zirbelstein: Stimme wie Samt. Leider auch solche Wangen. Noch ein bisschen zu jung. Aber vielversprechend.


    Gadrim: Leider kein Magonier. Stemmt aber Bänke mit Gardistinnen drauf und geht vollkommen ungeniert vor aller Augen baden. Könnte Spaß machen.


    Golodan von Nandoret: Hat Schneid. Mich bereits nach einer Stunde Bekanntschaft zu fragen, ob ich mit ihm seiner Liebesgöttin opfere, ist dreist, aber irgendwie charmant. Leider zu weit weg (Aventurien).


    Johanna runzelte kurz die Stirn und griff zum Bleistift. Da hatte sie in der Nacht wohl noch jemanden vergessen.


    Hadra: Spröde bis zu einem bestimmten Bruchpunkt, den man einmal erkunden könnte. Sich einmal in diesen Haaren verstricken - das wär's.


    Die Priesterin ließ den Stift sinken und musste lachen. Dann packte sie ihr Tagebuch wieder weg, fand das Taschentuch, das sie ursprünglich gesucht hatte und widmete sich wieder den Zahlen im Hauptbuch.

  • Ein kleines Mädchen mit langen, dunklen Zöpfen und unglaublich großen, fast schwarzen Augen hopste den Weg zum Waisenhaus entlang. Hinter ihr lief ein brauner Hund mit Schlappohren. Sie trug rote, weite Hosen und ein rotes Oberteil, das ihren Bauchnabel frei ließ. An den Säumen hatte man kleine Glöckchen angebracht, die leise klingelten, wenn sie lief.
    Als wäre es so selbstverständlich wie das Laufen auf zwei Beinen, wechselte sie in den Handstand und "ging" ein paar Schritte auf ihren Händen.


    Als das Gespann am Waisenhaus ankam, hob sie den Finger und sah den Hund an. Der hockte sich auf hin und hob die Vorderpfoten brav an. Dann klopfte sie an die Tür.

  • Es dauerte eine ganze Weile, dann öffnete sich die Tür und Johanna erschien im Rahmen. Sie trug eine nasse Schürze, weil Großreinemachen angesagt war und sich alles im Haus, was zwei Beine hatte, momentan damit beschäftigte, den Boden zu schrubben. Hinter Johanna konnte man das Summen von lachenden Kinderstimmen hören, die hin und wieder in strengem Tonfall - Frau Marthe war mit von der Partie und mit ihr war manchmal nicht gut Kirschenessen - unterbrochen wurden.


    "Ja, bitte?" Das ewig, unvermeidliche Lächeln lag auf Johannas rundem Gesicht, dessen Wangen ein wenig gerötet waren von der Anstrengung.

  • Das Kind knickste artig und in der anmutigen Bewegung sah man sehr wohl, dass sie trotz der jungen Jahre eine Artistin war.


    "Die Herrin Laya zum Gruße, Schwester." sagte sie. 'Schwester' sprach sie aus wie einen Titel. Scheinbar wusste sie also, wen sie vor sich hatte.


    "Der Ewig Freundlichen zu Ehren möchte ich Euch und die Euren einladen, an der ersten Vorstellung des Zirkus teilzuhaben."

  • Freude glomm in Johannas Augen auf. Sie liebte Schauspiel, Gaukelei und Gesang. Geschweige denn von kleinen, struppigen Hunden, die Männchen machen konnten.


    "Das ist sehr nett. Vielen Dank", sagte die Priesterin daher freudlich und wischte sich die Hände an der Schürze ab. "Wann und wo? Und - wieviel Geld muss ich mitbringen?"


    Ein Zwinkern trat in ihre Augen.

  • "Keine Münzen, Schwester. Nur den Segen der Herrin erbitten wir. Die erste Vorstellung an einem neuen Ort ist stets für jene, die nicht immer die Sonne sehen können. Das ist unsere Art der Gebetes."


    Am dünnen Oberarm des Mädchens prangte eine Tätowierung in Form einer Bärentatze. Sie hatte der Priesterin verschwiegen, dass sie es sich gerade in kleineren Orten selten leisten konnten, völlig unentgeltlich die erste Vorstellung zu geben. Von irgendetwas mussten sie ja auch leben. Aber die Leute dort hatten sowieso meistens kein Geld. Wer wären sie jedoch gewesen, wenn sie einen Laib Brot als Bezahlung abgelehnt hätten? Oder Eier? Oder einen Korb Äpfel?
    So ließ es sich über die Runden kommen, wenn auch der Winter stets eine harte Zeit war.

  • "Das ist gut gesprochen." Johanna nickte erfreut. "Ich komme also gerne, um Euer Werk zu sehen. Was die Menschen erfreut, erfreut auch die Herrin." Irgendwo im Inneren des Hauses entspann sich inzwischen ein Geflüster. 'Zirkus', wisperte eine Jungenstimme, die ganz verträumt klang. 'Die haben sicher tanzende Pudel dabei', sagte eine andere Stimme und dann, altklug, ein Mädchen 'Du hast sicher noch nie einen Pudel gesehen, oder?'.


    Johanna drehte sich halb um und warf einen prüfenden Blick in den Flur hinter sich. Ein halbes Dutzend Köpfe verschwand ertappt in den Zimmern, die an dem langen Flur lagen.

  • Hinter Johannas Rücken machte das Kind eine kreisende Bewegung mit dem Finger. Der Hund fing darauf an sich mit tapsigen Bewegungen im Kreis zu drehen, nach wie vor auf den Hinterpfoten.


    "Wir freuen uns, Schwester, Euch und die Euren begrüßen zu dürfen. Zur Mittagsstunde, morgen, ist alles bereit. Wir haben am Strand unser Lager aufgeschlagen. Vom Hafen aus sieht man uns direkt."


    Sie war gespannt, wie viele Kinder es im Waisenhaus wohl geben mochte und wie enttäuscht sie wären, wenn kein Pudel da wäre. Aber sie hatten ja Tuffi, der war so gut wie ein Pudel und sah auch fast aus wie einer.

  • Johanna seufzte leicht, doch ihre Mundwinkel zuckten, als sie sich wieder zu ihrer jungen Besucherin umdrehte.


    "Wir werden kommen. Tja, dann wird morgen Mittag wohl der Unterricht ausfallen müssen",sagte sie, scheinbar bedauernd. Hinter ihrem Rücken brach indes im Flur wieder verhaltener Jubel aus. Johanna war sich sicher, dass innerhalb von fünf Minuten alle Kinder wußte, welche Art von Ausflug für den morgigen Tag bevorstand. "Die Herrin mit Dir. Bis morgen."

  • "Johanna ist wieder da!"


    Im Nu war das gefräßige Schweigen im großen Essenssaal beendet, überschwappende Becher und Besteck landeten auf den Tisch und Johanna, die noch im vollem Marschgepäck in der Tür stand, wurde im Nu von ihren plappernden und lachenden Zöglingen umgeben.


    "Schön, dass Ihr wieder da seid, Schwester!"


    "Ich bin drei Zentimeter gewachsen!"


    "Ich kann jetzt schon kochen!"


    "Ich habe eine Lehrstelle!"


    Lachend hob Johanna die Hände, zaust hie und da einen Kopf und ließ sich bereitwillig in den Raum ziehen. Sie stellte ihre Kiepe in einer Ecke ab und hörte sich dann geduldig die Geschichten an, die aus Kindersicht weltbewegend und wichtig waren und denen sie alle erforderliche Aufmerksamkeit schenkte. Ihr Blick glitt über die Kinderköpfe, dann weiter zu Frau Marthe, die am Herd stand, auf dem ein Eintopf einladend blubberte.


    "Jetzt setzt Euch wieder und esst auf", sagte Johanna nach einer ganzen Weile. "Ich muss mir den Reisestaub abwaschen und später habe ich noch ganz viel Zeit für Euch." Es hab ein wenig Gemurre, aber dann kratzten die Bänke wieder über ausgetretenen Boden und das Essen ging weiter. Die Priesterin trat zu Marte.


    "Wo ist denn Sofie?", fragte sie die ältere Frau leise. Die zuckte mit den Achseln.


    "Sie ist in den letzten Tagen ein bisschen komisch, Schwester, und sitzt viel alleine im Garten. Sie lässt sich da auch nicht wegholen, nicht ohne dass es Tränen gibt. Ich glaube da ist sie jetzt auch."


    "Dann gehe ich mal nachschauen", antwortete Johanna leise und nickte ihrer Haushälterin dankbar zu. Wenig später ging sie durch den großen, gut gepflegten Garten, der hinter dem Waisenhaus lag. Frühling lag in der Luft, das Gemüse spross langsam und die Kirschbäume verteilten ihre Blütenpracht im leichten Wind überall auf dem Boden.


    Sie fand Sofie auf dem untersten Ast eines stattlichen Walnussbaums, der schon dagestanden hatte, als es das Waisenhaus noch nicht gegeben hatte. Für eine Sechsjährige waren die drei Meter bis zu diesem Ast eine stolze Leistung, das mußte Johanna, die Angst vor kleinen Höhen hatte, ehrlich zugeben.


    Sofie ließ die Beine baumeln und hatte ihr Stofftier, einen schon sehr abgeliebten Bären, fest unter den dünnen Arm geklemmt. Als sie Johanna sah, sagte sie sofort feindselig:


    "Geh weg!"


    Johanna legte verwundert den Kopf zu Seite.


    "Ich freu mich auch, Dich zu sehen, Sofie. Warum warst Du nicht beim Essen? Frau Marte macht sich schon Gedanken."


    Johannas Freundlichkeit schien eine Schleuse zu öffnen, denn Sofies Augen schimmerten verdächtig auf.


    "Mir egal", murmelte das Kind trotzig. "Die sollen alle weggehen. Die sind gemein. Und Du bist auch gemein."


    Die Priesterin blinzelte verdutzt. Was hatte sie falsch gemacht?


    "Magst Du nicht herunterkommen und mir sagen, warum ich gemein bin?"


    Ein heftiges Kopfschütteln, gefolgt von einem Nasehochziehen. Johanna blieb, wo sie war und wartete. Stille kehrte ein in dem Garten und bis auf das ferne Klopfen eines Spechts, der im Wald nach Nahrung suchte, war eine ganze Weile nichts zu hören. Schließlich gab sich Sofie geschlagen.


    "Ich komm nicht mehr runter, das ist so hoch", schniefte Sofie kläglich und blickte nach unten. Johanna lächelte sanft.


    "Dann stelle ich mich jetzt hier hin und ich fange Dich auf, falls Du runterspringen willst", sagte sie freundlich und machte zwei Schritte näher, um die Arme zu öffnen und einladend zu dem Ast hinaufzublicken. Sofie zögerte noch einen guten Moment, dann blickte sie hinunter zu ihrem Stoffbären, dann zu Johanna. Dann schluckte sie und sprang hinunter.


    Johanna ging zu Boden, als der Kinderkörper in ihren Armen aufprallte und die Luft wich aus ihren Lungen. Als sie sich berappelt und wieder aufgesetzt hatte, die Arme noch immer um das Kind geschlungen, blickte sie in zwei seegrüne, besorgte Kinderaugen.


    "Hast Du Dir wehgetan, Schwester?"


    "Nein, Schatz, alles in Ordnung." Sie öffnete die Arme so weit, dass Sofie hätte entkommen können, wenn sie wollte, doch die Kleine wollte offenbar gar nicht. Sie kuschelte sich an Johanna, die für den kommenden Tag ein paar üble, blaue Flecken für sich voraussah, und fing wieder an zu weinen. Johanna wartete geduldig, bis der Fluss der Tränen vorbei und nur noch Schniefen zu hören war. Dann fragte sie ganz behutsam: „Was ist denn los, Sofie?“


    Das Mädchen seufzte leise.


    „Gehst Du weg, um Dir einen Mann zu suchen?“, fragte sie und sah Johanna mit bangem Gesichtsausdruck an. Die Priesterin war verblüfft.


    „Aber nein, wie kommst Du denn darauf?“


    „Ralf hat gesagt, dass Du keinen Mann mehr hast und dass das so nicht richtig ist. Und er sagt, wenn Du auf Reise gehst, dann lernst Du vielleicht einen Mann kennen und heiratest den und dann bist Du weg.“Das löste bei Johanna ein seltsames Ziehen im Herzen aus, das sie nicht recht benennen konnte. Sie erinnerte sich an den Abend am Feuer mit dem Ritter Golodan, mit dem sie über den Tod ihres Mannes gesprochen hatte. Sie hatte sich bei dem Mann wohlgefühlt, dass musste sie ehrlich zugeben. Aber einen neuen Mann nehmen – es kam ihr wie Verrat vor.


    „Keine Sorge“, flüsterte sie dem Kind sachte zu. „Ich habe meinen Mann sehr lieb gehabt und ich war sehr traurig, als er gestorben ist. Ich habe lange etwas gesucht, das mir so viel wert ist wie er. Und ich habe festgestellt, dass das kein Mann ist, sondern diese Haus und seine Bewohner.“ Mit der freien Hand nestelte sie in ihrer Umhängetasche und förderte ein Taschentuch hervor, dass sie Sofie gab. Irgendwie fühlte sie sich gerade schlecht und wusste nicht recht, warum.


    „Meine Mama ist in einer Nacht auch mit einem neuen Mann weggegangen, nachdem mein Papa tot war“, vertraute Sofie ihr an und schnäuzte sich kräftig. Ihre Unterlippe zitterte. „Und sie hat mich alleine gelassen.“


    „Das weiß ich, Schatz“, gab Johanna zurück und drückte das kleine Mädchen noch einmal fest an sich. „Ich verspreche Dir, ich gehe hier nicht weg. Ich bin Eure Priesterin.“


    Kluge Kinderaugen richteten sich durchdringend auf Johanna, als Sofie beschloss, ein großes Mädchen zu sein, sich aus der Umarmung löste und sich aufrappelte.


    „Und was ist mit einem neuen Mann? Ich meine, wenn die Herrin Laya lieb ist, dann schickt sie Dir doch noch einen.“


    Johanna schmunzelte und stand ebenfalls auf. Sie klopfte Laub und Kirschblüten von ihrem und Sofies Kleid.


    „Ein neuer Mann muss dann eben Rücksicht darauf nehmen, dass ich Priesterin und hier bei Euch bin. Und ich glaube fast, dass es nicht viele solche Männer gibt.“


    Sofie seufzte schicksalsergeben, wirkte aber zufrieden. Sie schob ihre kleine, ein wenig klebrige Hand in Johannas Hand.


    „Schwester Johanna? Ich hab Hunger.“


    „Ich auch, Schatz. Es ist schön, wieder hier zu sein.“


    Zusammen verließen sie den Garten.

  • Es regnete. Johanna saß in ihrem Zimmer, vor sich die Geschäftsbücher die Waisenhauses, und träumte vor sich hin, den Blick auf das fädige Wasser gerichtet, das vor dem Fenster zu Boden fiel. Noch etwas anderes tropfte, nämlich die Tinte von ihrem Federkiel, den sie in der Hand hielt, in die sie auch ihren Kopf gestützt hatte. Das fiel ihr allerdings erst auf, als eine feuchte, königsblaue Spur in ihren Ärmel lief und dort kühl ihren Unterarm kitzelte.


    Mit einem Blinzeln kam die Priesterin wieder zu sich und beeilte sich, die Tintentropfen vom Schreibtisch und ihrer Hand abzuwischen, was jedoch vergebene Liebesmüh war. Mit einem Seufzen streckte sich Johanna und ihre Gelenke knackten ein wenig, dann warf sie wieder einen Blick auf die Zahlenkolonnen, die fein säuberlich auf dem Blatt prangten.


    Es sah gut aus für das Waisenhaus. Durch die anonyme Spende vor einem Jahr und die weniger anonyme Spende von Tauron von Daik hatten sich ihre Geldsorgen erledigt. Natürlich mußte sie streng haushalten, denn das Geld würde nicht ewig reichen und das Haus sollte lernen, sich selbst zu finanzieren, auch wenn es nicht einfach war. Doch sie erlaubte sich dennoch, mit der gegenwärtigen Entwicklung zufrieden zu sein.


    Sie stand auf und trat ans Fenster. Normalerweise konnte sie von diesem Punkt die Stimmen der Personen im Haus hören, doch dieses Mal war der Regen zu laut und als sie die Fensterflügel öffnete, steigerte sich das Rauschen noch einmal deutlich. Tief atmete sie die frische, feuchte Luft ein und damit die Kopfschmerzen weg, die drei Stunden Buchhaltung hinter ihren Schläfen hinterlassen hatten.


    Mit der Schulter lehnte sie sich gegen den Fensterrahmen und blickte auf den Garten und den nahen Wald hinunter. Sie hatte sich in Renascân von Anfang an zuhause gefühlt, allerdings hatte sich in letzter Zeit doch der ein oder anderen Wermutstropfen in ihr Leben eingeschlichen. Die gereizte Stimmung zwischen Saarweiler und ihr war ihr ein stetes Ärgernis - zumal es inzwischen auch anderen Menschen unangenehm aufgefallen war und man sie mehrere Male darauf angesprochen hatte - und zu allem Überfluss ertappte sie sich in letzter Zeit auch ständig dabei, an einen gewissen ausländischen Ritter zu denken. Kein Wunder, dass ihre Neigung zur Kopfweh in letzter Zeit erhöht war.


    Johanna rieb sich den Nacken und schloß das Fenster. Es war Zeit, in der Küche nach dem Rechten zu sehen und zu überprüfen, wo Nela an diesem Morgen steckte. Nicht, dass sie sich schon wieder entschieden hatte, im Regen zu tanzen -. Die Lippen der Priesterin zuckten nach oben. Vielleicht war im Regen zu tanzen nicht die schlechteste Idee an so einem grauen Tag. Sie würde darüber nachdenken.... .

  • "HATSCHI!" Und dann noch einmal. "HATSCHI!"


    Johannas Kopf unter dem Tuch und die Schüssel mit dampfendem Salzwasser, über der Kopf und Tuch hingen, schwankten bedenklich. Mit einem tiefen Einatmen richtete sich die Priesterin auf, zog die knallrote Nase ein wenig hoch und hustete dann. Das Tuch, das schon feucht war vom Wasserdampf, schlug sie über den Kopf zurück.


    Frau Marte beäugte sie vom anderen Ecke der Küche.


    "Ehrlich, Schwester", sagte die Haushälterin respektvoll, aber unerbittlich. "Ihr hättet doch wissen sollen, dass Tanzen im Regen bei Eurer Neigung zu Erkältungen eine schlechte Idee ist."


    Johannas Schultern sackten ein Stück nach unten.


    "Nur ein Chnubfn", murmelte sie. "Alles für die Herrin."

  • Aufmerksam betrachtete Mara-Katharina das Waisenhaus. Es war recht weit ab vom Schuß gelegen und doch ganz gut erreichbar. Sie war einige Schritte vom Eingang entfernt stehen geblieben um abzuwarten. Ihre Wache, eine Frau mittleren Alters, klopfte an der Tür.