Im Hafen von Rendor

  • Marie schwirrte noch der Kopf gar der vielen Neuigkeiten. Schlagartig hatte ihr Leben wieder eine neue Wendung genommen.


    Sie hatte nun vieles zu verarbeiten und nachzudenken. Wo sollte sie zukünftig leben - am Hofe Kaotiens oder bei Dunja am Hofe, oder gar vielleicht doch keines von beidem, da sie sich um Clarisse kümmern sollte?


    Sie sagte daher zu ihrem Vater:


    "Vater, darüber sollten wir morgen in Ruhe sprechen. Ich muss Dir sowieso noch einiges berichten und wir müssten dann Entscheidungen treffen."

  • Michael wurde hellhörig: "Noch mehr Neuigkeiten? Darf ich etwa hoffen, dass es da jemanden gibt?"


    Marie schüttelte den Kopf - sie sah aus, als würde sie an jemanden denken... Damit beließ er es auch, denn sie betraten bereits den Wintergarten, wo vier Damen bereits saßen und auf sie warteten.


    "Verzeihung, meine Damen, dass wir Sie haben warten lassen!"


    Er und Marie setzten sich auf ihre Plätze. Kurz danach wurde der Hauptgang serviert.

  • Marie beugte sich zu Dunja rüber: "Entschuldige - ich werde Dir nachher alles erzählen. Mir schwirrt schon der Kopf von den vielen Neuigkeiten, die ich soeben erfahren habe."


    Dann beugte sie sich noch näher zu Dunja herüber und flüsterte noch leiser: "Ich hoffe, Du konntest es aushalten mit "ihr"?!" Marie sah zu ihrer Schwiegermutter, die sehr selbstgefällig da saß und sich prächtig zu amüsieren schien.


    Ihr Vater hatte seine Hand auf die seiner Gattin gelegt und führte eine Unterhaltung mit den Neuankömmlingen.

  • Erleichtert reagiert Dunja auf die Rückkehr des Hausherren und dessen Tochter und nickt zu Maries leisen Worten, während sie äußerst liebenswürdig beteuert,


    "Aber bitte, Herr de Moriba, das war doch nicht der Rede wert!"


    Sie lächelt ihm freundlich zu und verzieht dann leicht reumütig ihr Gesicht,


    "Viel mehr muss ich mich bei Euch und Eurer Gemahlin entschuldigen, dass Lady Felizitas so überraschend herkam! Ich hoffe wirklich das bereitet Euch nicht allzu viele Umstände!"


    Ihr Blick wandert von dem Kaufmann zu dessen Frau hinüber...

  • Die Eheleute de Moriba erwiderten gleichzeitig:


    "Nein, auf gar keinen Fall!"


    Herr de Moriba übernahm das Gespräch weiter: "Verzeihung, meine Liebe... nein, wirklich. Es ist uns eine Ehre, dass Ihr unsere Gäste seid. Es tut mir eher leid, dass wir Euch... wie soll ich sagen - habe sitzen lassen, da mir etwas Wichtiges dazwischen gekommen ist."


    Er schaute zu Marie und zwinkerte ihr zu.


    Seine Frau schaute ihn fragend an und ersagte zu ihr: "Das erkläre ich Dir nachher in Ruhe."


    Dann erhob er sein Glas erneut und sagte: "Auf unsere Gäste - auf neue Freundschaften und einen schönen Abend! Ich wünsche einen guten Appetit."

  • Dunja erhebt ihr Glas ebenfalls und fügt dem Trinkspruch des Handelsherrn noch hinzu,


    "Und auf Euch, werte Madame, werter Herr de Moriba... und Eure vortreffliche Gastfreundschaft!"


    Sie nickt beiden zu und nimmt dann einen kleinen Schluck aus ihrem Glas...

  • Marie aß nur mäßig vom Hauptgang und auch der danach gereichte Nachtisch wurde nur eines Bissens gewürdigt. Sie lauschte mit halben Ohr der Konversation aller Beteiligten zu.


    Was für eine verrückte Welt. Jahrelang passierte gar nichts in ihrem Leben und dann plötzlich alles auf einmal.


    Sie hörte auf, als ihr Vater sagte, nach dem Essen wolle man sich in den Salon begeben, da seine Gattin die Gäste mit Musik am Klavier unterhalten wollte. Marie hatte einen Kloß im Hals. Früher hatte ihre Mutter Musik für die Gäste aufgespielt. Seit jeher wurde das Klavier nicht mehr benutzt. Ob es überhaupt noch funktionierte. Die Harfe stand ebenfalls noch in der Ecke.


    Marie fragte Lady Felizitas: "Felizitas, spielst Du oder Deine Begleitung vielleicht ein Instrument oder singt vielleicht?"


    Sie fragte bewusst nicht Dunja, da sie genau wusste, dass diese nicht gerne musizierte.

  • Felizitas hatte hier und dort sich in die Konfersation mit eingefügt, jetzt im Salon sah sie Marie lächelnd an.


    "Ich klimpere hin und wieder bei mir daheim auf dem Klavier aber ich würde lügen wenn ich behaupten würde es zu beherrschen. Aber ich singe leidenschaftlich gern, wenn ich auch dazu sagen muß das es sicherlich schöner Stimme als meine gibt."

  • Marie lächelte zurück. Sie mochte Felizitas. Auf dem Ball fand sie es zwar sehr schockierend, dass sie so offen über Dinge sprach, die Marie ein anderes Bild von der Welt vermittelten als sie sie bisher immer gesehen hatte.


    Andererseits fand sie es erfrischend und befand ihre ehrliche Art als sehr angenehm.


    Sie sagte zu ihr: "Ich wünschte, ich könnte ein Instrument spielen. Im Kloster hatten wir keine - bis auf die Orgel. Aber die durfte nur die Mutter Oberin bespielen. Unsere Instrumente waren unsere Stimmen."


    Sie schaute zu Dunja. "Aber ich finde auch nicht, dass meine Stimme hörenswert ist. Im Chor in der Menge zu singen ist einfacher als alleine... Meine Freundin Flora hat eine schöne Stimme - sie lässt sich zur Bardin ausbilden... sie kann einen verzaubern mit ihrem Gesang."

  • Michael schwelgte bei Maries Worten in Erinnerungen. Als seine erste Frau noch lebte, haben sie zu dieser Jahreszeit besonders gerne die traditionellen Lieder gesungen. Seine tote Frau hatte dann am Klavier oder der Harfe gesessen und dazu gesungen. Marie hatte stets daneben gestanden und mitgesungen.


    Er musste lächeln... er hat sie seit Jahren nicht mehr singen gehört.


    "Marie, es würde mich freuen, wenn Du heute Abend etwas singst - magst Du?"

  • Marie sah ihren Vater erschrocken an.


    "Ich?" Sie sah sich nervös um. "Ich weiß nicht..."


    Marie mochte nicht im Mittelpunkt stehen, schon gar nicht beim Singen. Sowas konnte eher Flora - oder ihre Mutter damals... aber sie versteckte sich lieber hinter anderen Sängern...


    Aber wenn es sich ihr Vater von ihr wünschte... was sollte sie nur machen? Sie merkte, dass ihr die Kehle zuschnürrte... Sie schaute hilfesuchend zu Dunja.


    Unerwartet kam ihr ihre Stiefmutter zur Hilfe: "Aber, mein Lieber - bedräng sie doch nicht so. Ich kann neben dem Klavierspiel auch noch wunderbar singen... ich werde uns unterhalten!"


    Michael täschelte ihr die Hand und lächelte sie an. Es war ja schön, dass seine Frau das freundlicherweise übernehmen wollte.. doch hätte er gerne seine Tochter gehört... und damit vielleicht ein wenig die Vergangenheit wieder erweckt...

  • Dunja versucht zu vermitteln und schlägt vor,


    "Bei uns daheim, wenn der Kreis aus Freunden besteht und kein hochoffizieller Anlass zugrunde liegt, halten wir es oft so, dass jeder etwas zum Besten gibt. Das muss kein Lied oder Instrumentenspiel sein, eine Geschichte oder ein Gedicht tun es ebenso. Wie wäre es, wenn wir es hier auch so hielten?"


    Sie schaut lächelnd von Maries Vater zu dessen Tochter hinüber,


    "Was hälst du davon, Marie? Dann könntest du für uns singen und wir würden uns revanchieren."


    Mit einem weiteren Lächeln wendet sie sich an Maries Stiefmutter,


    "Und auf Euren zarten Schultern, werte Madame de Moriba, würde nicht die Hauptlast der Abendunterhaltung liegen!"

  • "Na gut... wenn Ihr mir verspricht, nicht zu genau hinzuhören," zwinkerte Marie: "Dann werde ich wohl ein Lied singen."


    Sie lächelte erst Dunja dankbar für ihre Hilfe an und schaute dann zu ihrem Vater, der sie ebenfalls anlächelte.


    Und wenn ich ihm damit eine Freude machen kann, sagte sich Marie, dann wird sie es ertragen können, vor allen zu singen. Sie überlegte schon die ganze Zeit, welches Lied sie singen würde.


    Das Dinner war beendet und man genoß noch den einen oder anderen Likör, den Marie angesetzt hatte. Ihr Vater lobte sie deswegen.


    Ihr Stiefmutter passte das anscheinend nicht, da sie bei seinen Worten das Gesicht kurz verzog, um dann wieder ihr falsches Lächeln aufzusetzen.


    Marie schüttelte sich innerlich. Was er wohl an ihr fand? Ja, sie musste zugeben, sie war eine Schönheit und Marie wäre froh, hätte sie nur etwas davon - aber sie war so falsch und kalt und eigennützig. Sie fragte sich, was wohl die Zukunft mit ihr bringen würde. Würde sie wirklich einen Erben vor ihr bekommen, obwohl ihr Vater keinen selbst mehr haben wollte?


    Sie musste unbedingt morgen mit ihm reden! Soviel lastete ihr auf dem Herzen und musste ausgesprochen werden.


    Alle standen irgendwann auf und gingen hinüber in den Salon, wo das Kaminfeuer warm prasselte. Fanny warf einige Kräuter und Zweige in das Feuer und der ganze Raum füllte sich mit einem wohlriechenden Duft, der für diese Zeit so typisch war. Marie liebte das.


    Ihre Stiefmutter setzte sich zwischendurch immer mal wieder an das Klavier und spielte auf - manchmal lustige Lieder, manchmal besinnlichere.

  • Felizitas hielt sich weitesgehend im Hintergrund und bildete sich hier und dort ihre eigene Meinung.


    Manchmal tauschte sie viel sagende Blicke mit Maya. Die Lieder die am Klavier zu besten gegeben wurden gaben ein wenig Zeit sich in leise Unterhaltungen hinzugeben.


    Am ende eines weiteren Liedes fragte Sie Marie.


    "Möchten wir zusammen singen?"

  • Selbstbewußt strahlt Felizitas Marie an.


    "Nun ich kenne so einige und was ich nicht kenne, kann ich lernen. Aber wenn ich einen Wunsch äußern dürfte, so fände ich es schön wenn wir Lieder aus dieser Region singen würden. Ich finde es immer sehr reizvoll mit neuem Wissen daheim anzukommen, schließlich weiß man ja nie ob es in der Zukunft vielleicht noch hilfreich ist." Sie lacht als hätte sie einen Witz gemacht.

  • Marie überlegte... sie kannte hauptsächlich Kirchenlieder oder Lieder, die ihre Mutter mit ihr gesungen hatte...


    "Kennst Du 'Ave Maria' oder 'Weihnachten bin ich zuhaus' oder vielleicht 'Eno Sagrado En Vigo' bzw. 'Küss mich, halt mich, lieb mich'?"


    Marie schaute erwartungsgemäß zu Lady Felizitas. Dann fiel ihr ein, dass irgendwo noch beim Klavier in einem Buch die Noten ihrer Mutter liegen mussten und sie trat schnurstraks neben ihre Stiefmutter, die sie etas irritiert ansah und erwiderte: "Ich kenne keins dieser Lieder."


    Marie erwiderte daraufhin: "Das macht nichts... wenn ich die Noten meiner Mutter finde, könntet Ihr vielleicht nach Noten spielen? Ansonsten summe ich die Melodie auch einfach einmal oder wir singen ohne begleitende Musik."


    Marie fand das Liederbuch ihrer Mutter und blätterte aufgeregt darin herum, bis sie die entsprechenden Seiten gefunden hatte und Felizitas, die ans Klavier herangetreten war, und ihrer Stiefmutter zeigte.


    Isabell de Moriba erwiderte etwas gekränkt: "Aber sicher kann ich Noten lesen! Gib her!"


    Marie beneidete sie etwas der Tatsache, dass sie Noten lesen konnte, während Marie immer nur nach Gehör gesungen hatte. Ihre Mutter hatte ihr durch deren Tod leider keine Noten mehr beibringen können und im Kloster lernte Marie zwar Lesen und Schreiben sowie Rechnen, aber Notenunterricht gab es nicht. Dies blieb nur den 'Schwestern' als Privileg vorbehalten, wenn sie den Eid abgaben.

  • Marie stimmte 'Eno Sagrado En Vigo' und sang einfach los... oje - ein, zwei Töne gingen schief... aber sie versuchte, dieses Lied aus ihren Erinnerungen heraus zu singen.


    Es wurden an diesem Abend noch einige Lieder zum Besten gebracht von allen Anwesenden. Selbst Maries Vater sang mit seiner tiefen tenoren Stimme.


    Solch einen Abend hatte Marie seit Jahrzehnten nicht mehr in ihrem Heim erlebt gehabt und sie fühlte sich glücklich und vergaß für einige Zeit alles, was sie bedrückte.


    Es wurde spät und die Herrschaften verabschiedeten sich für die Nacht und gingen auf ihre Zimmer.


    Marie bat Dunja, bei ihr zu nächtigen, wollte sie ihr doch so einiges noch erzählen. Und so saßen sie beide in ihren Nachtgewändern auf Maries großen Bett - dick einemurmelt in diverse Decken und Kissen, die nach Lavendel dufteten, und warmen Steinen zu ihren Füßen.


    "Ach, Dunja - das war ein schöner Abend! Es war fast, als wäre..." Marie machte einen tiefen Atemzug..."als wäre meine Mutter da gewesen."


    Sie zog noch etwas mehr die Decke hoch, denn es war wirklich kalt draußen geworden. Kurz vorher hatte sie noch das Fenster zum Lüften geöffnet gehabt, wie sie es immer machte, kurz bevor sie schlafen ging. und noch hatte das Kaminfeuer die Luft im Raume nicht wieder erwärmt. Sie mochte die Nachtluft - sie mochte die Sterne nachts beobachten und manchmal, wenn eine Sternfee vorbeitanzte, wünschte sie sich schnell etwas.


    Marie erzählte Dunja alles über ihre Cousine, die plötzlich aufgetaucht war. Sie war ganz aufgeregt und erzählte daher sehr schnell.


    "Ist das nicht verrückt, Dunja? Manchmal komisch, wie die Welt ihren Lauf nimmt. Und plötzlich hat man eine weibliche Verwandte, die aus dem Nichts auftaucht. Ich bin gespannt, wie sie so ist... sie scheint nett zu sein..."

  • Dunja hört Marie gespannt zu und lacht dann leise,


    "Ja, manchmal ist das Leben wirklich sehr verworren!"


    Sie zwinkert ihr fröhlich zu,


    "Ich freue mich für dich, dass du nun Gesellschaft haben wirst!"


    Einen Moment wird sie ernst und bemerkt, fast als fiele es ihr gerade wieder ein,


    "Mein Vater erzählte mir in Cornia, dass meine Mutter noch einmal zwei Kinder geboren hat... zwei Mädchen... zwei Schwestern..."


    Sie schüttelt den Kopf, mag sie doch nicht an ihre Mutter denken und wendet sich wieder Marie zu,


    "Ist sie dir ähnlich, deine Cousine?"

  • Marie antwortete:


    "Äußerlich überhaupt nicht - finde ich... sie ist kleiner, aber ebenfalls meine Figur, aber dafür dunkle lange Haare und braune Augen... und wie sie vom Charakter her ist, kann ich noch nicht sagen. Aber ich glaube, ich werde sie mögen. Was ich zumindest bisher von ihr gesehen habe..."


    Dann kamen ihr die Worte Dunjas in den Sinn: "Du hast Schwestern?"